Ist die Wickeltasche die neue It-Bag? Von Biokarotten und Pekip-Kursen. Wie lebt es sich als ’neue Mutter‘?
Rezensiert von Constanze Griessler
Florian Illies war der erste mit der Generation Golf, Martin Reichert folgte mit seiner intelligenten Analyse einer Generation, die von Praktikum zu Praktikum hoppt und sich der Daueradoleszenz nicht entziehen will: Die Generation Umhängetasche. Auch die Generation Porno wurde vor kurzem von Kulturpessimisten entdeckt, eine Generation, die in einer durch und durch pornographisierten Gesellschaft groß wird.
Frisch am Markt: Die Generation Wickeltasche
Und nun ein neues G-Wort: Die Generation Wickeltasche
Aber warum, um Himmels willen, Generation Wickeltasche? Weil die Wickeltasche, glaubt man dem Vorort der 33-jährigen Autorin Nana Heymann, die neueste It-Bag ist. Denn die so genannten neuen Mütter, glaubt man den leicht säuerlichen Kommentaren von Feuilletons, gehen allesamt ins Mutter-Kind-Yoga, in Emmi Pikler-Spielgruppen, fahren ausnahmslos die Luxuskarosse Bugaboo (vielleicht noch Urban Jungle und Stokke Xplory) und machen, wie gesagt, die teure Designer-Wickeltasche zu ihrem Fetisch.
Heymann will anhand von Fallbeispielen Einblicke ins Leben der Prenzlauer Berg-Mütter geben. Dafür hat die Autorin 33 Interviews mit der erst vor einigen Jahren entdeckten Spezies der neuen Mütter geführt.
Zum Beispiel Silke
Das Vorwort enthält das mit Augenzwinkern vorgebrachte Zugeständnis der Autorin, doch selbst eine – dieser Mütter – zu sein, eine dieser „Prenzlauer Berg-Mütter“ am pregnancy hill, über die sich – angeblich jeder das Maul zerreißt.
Wie Silke. Silke ist 30, Künstleragentin und shoppt, was das Zeug hält. Silke ist jetzt Mama der eineinhalbjährigen Tochter Lilly (wie sollte sie sonst heißen? Vielleicht Annika?), für die sie jetzt ebenfalls shoppt: vor kurzem ein Paar cognacfarbener Mini-Wildlederstiefel mit Lammfell-Fütterung, wie sie auch Suri Cruise trägt: um 150 Euro.
Dass man sich solch einem Lifestyle allerdings nur mit gut gefülltem Girokonto hingeben kann (auf das meist Oma und Opa aus den fernen Bundesländern alimentieren), wird nicht erwähnt, geschweige denn kritisiert. Die meisten der portraitierten Frauen leben in einer intakten Partnerschaft, sind hetero, und der Vater des Nachwuchses ist erfolgreich, cool und bei der Geburt dabei. Überhaupt sehen die meisten Frauen blendend aus, die Männer drehen sich nach ihnen um, sogar ein wahrhaftiges Ex-Model ist dabei! Das jetzt übrigens geläutert aus dem wilden Berlin wieder zurück in ihr Dorf und den Schoß der Familie gekehrt ist.
Mal gehts um PEKIP- Kurse (erst bei der dritten Fallgeschichte wird erklärt, was sich hinter dieser seltsamen Abkürzung eigentlich verbirgt), mal um den miesen Sex in der Schwangerschaft, dann wieder um Mobbing am Arbeitsplatz. Ein Hauch von Sex and the City, nur ohne schwulen besten Freund.
Jeder der 33 Erfahrungsberichte endet mit ein paar launigen Sätzen der Autorin. Meist sind diese wohlwollend, manchmal jedoch hat sie nur ein Kopfschütteln für die Frauen übrig. Zum Beispiel für die intimen Geständnisse einer Schwangeren, die zuerst ihre langjährige Schulliebe (wie kann frau nur?), sowie den glutäugigen spanischen Urlaubsflirt, von dem sie nun schwanger ist, sitzen lässt.
Keine der 33 Exponentinnen hat sich gegen das Stillen entschieden, obwohl diese Frage sicher einige junge Mütter beschäftigt.
Dafür geht es einmal zu oft um wunde Brustwarzen und böse Schwiegereltern, die dem Enkerl Polyester-Babybodies schenken, nicht mal die richtige Milch, nämlich Bio!, kaufen können und sogar schon das Zufüttern bei einem 5 Monate alten Baby empfehlen. Anscheinend ist es common sense, dass eine Bobo-Mama die vollen sechs Monate stillt. Ein Revival der Bürgerlichkeit, das man anscheinend auch der Leserin unterstellt.
Neobürgerliche Spielplatzfeinde?
Bürgerlichkeit Vielleicht eint ja das die Generation Wickeltasche?
Denn was macht diese Generation tatsächlich aus? Dass für jede Mutter die andere Mutter am Spielplatz die größte Feindin ist? Worin liegt die Rolle der Männer?
Anstatt gesellschaftliche Strukturen und patriarchale Systeme zu hinterfragen, die es jungen Müttern im Jahre 2010 immer noch schwer machen, Beruf und Familie zu vereinen, will das Buch Mut machen, zu seinen Zweifeln und Unzulänglichkeiten vor den anderen Gucci- und Freitag-Wickeltaschenmamis zu stehen. Möglicherweise schielt man mit dem knackigen Buchtitel auf vordere Ränge der Bestenliste der LeserInnenschaft.
Fazit: Viel Neues ist nicht dabei, die Berliner Musikerin Christiane Rösinger (ehemaliges Mitglied der Lassie Singers, heute Britta) und Journalistin hat das ganze vor Jahren schon pfiffiger auf den Punkt gebracht.
Generation Wickeltasche – Die neue Lust am Muttersein – Begegnungen mit jungen Frauen – von Nana Heymann, erschienen bei Schwarzkopf & Schwarzkopf
Nana Heymann wurde 1977 in Ost-Berlin geboren. In den 90er-Jahren entdeckte sie das Berliner Nachtleben und schrieb darüber für unterschiedliche Musikmagazine. Heute arbeitet sie beim Tagesspiegel, schreibt für das ZEIT Magazin und die zitty.
Heymann lebt mit ihrem Mann und der gemeinsamen zweijährigen Tochter in Berlin-Prenzlauer Berg. Nana Heymanns Wickeltasche hat stolze 150 Euro gekostet, entworfen von einem österreichischen Jungdesigner. Ein astreiner Lebenslauf also, um dieses Buch herauszubringen.
„Meine Wickeltasche hat 150€, gekostet und war nach wenigen Wochen leider kaputt“
Interview mit Nana Heymann
Sie schreiben ein Buch über eine neue Generation von Müttern. Was unterscheidet diese Generation von ihren eigenen Müttern?
Die neue Mütter-Generation ist unter völlig anderen Lebensumständen aufgewachsen emanzipierter, mit einer klaren Vorstellung vom Leben. Auch offener, freier, selbst im Osten. Im Westen ist diese Generation durch die achtziger Jahre sozialisiert, durch ein »Anything goes «-Gefühl , das mit dem Mauerfall auch nach Ostdeutschland kam. Die neuen Mütter haben ihre Jugend in dem Glauben verbracht, dass ihnen die Welt, die Jobs und die Männer zu Füßen liegen. Unsere eigenen Mütter hingegen sind noch eher vorgegebene Wege gegangen, sie hatten nicht diese Wahlmöglichkeiten.
Und was hat das mit der Wickeltasche zu tun?
Sie ist ein Wiedererkennungsmerkmal dieser Mütter. So eine Wickelasche ist heutzutage ja nicht nur funktionell, sie sieht auch gut aus. Viele Modelle sind oft aufwendig verarbeitet und aus hochwertigen Materialien, manche sogar aus Leder. Letztlich beweist die Wickeltasche, dass eine Frau auch als Mutter nicht auf eine It-Bag zu verzichten braucht.
Für Ihr Buch haben Sie die verschiedensten Frauen getroffen und sich aus ihrem Leben erzählen lassen. Wer sind diese Frauen und welche Einstellung haben sie gegenüber Familie und Karriere?
Zum einen sind es natürlich die Frauen, über die man gemeinhin spricht: Frauen, die in sogenannten Szene-Bezirken leben, gut gebildet sind und in den Vor-Mutter-Jahren ein eher hedonistisches Leben geführt haben. Sie sind viel ausgegangen, waren auf der Suche nach dem perfekten Mann und dem perfekten Job. Diese Frauen gibt es nicht nur in Berlin-Prenzlauer Berg, sondern auch in Hamburg, München, Köln, wo sie dann im Schanzenviertel leben, im Glockenbach- oder Agnesviertel. Dort versuchen die meisten von ihnen, Kind und Karriere miteinander zu vereinbaren. Denn warum sollte jemand, der viel Zeit und Geld in eine gute Ausbildung investiert und später einen anständigen Job gemacht hat, sich plötzlich allein mit der Mutterrolle zufrieden geben? Es kommt aber zum Beispiel auch eine Frau zu Wort, die mit ihrem Kind in die Provinz zurückgezogen ist ,weil sie letztlich an einem Ideal gescheitert ist. In ihren Augen haben die Vorzeigemütter einen Standard gesetzt, mit dem sie nicht mithalten konnte.
Trendige Babyartikel und Tinnef für Jungmütter gibt es inzwischen im Ãœberfluss. Haben auch Sie eine stylische Wickeltasche?
Für das Modell der Wickeltasche von Louis Vuitton hat es nicht gereicht, das hätte locker über tausend Euro gekostet. Mittlerweile gibt es ja Wickeltaschen, die über separate iPod-Fächer verfügen und später auch als Laptoptasche verwendet werden können. Mein Modell hat 150 Euro gekostet, es war von einem österreichischen Jungdesigner , und nach ein paar Wochen leider schon kaputt.
Die Deutschen kriegen immer weniger Kinder. Warum gibt es dennoch in vielen Großstädten Stadtteile, in denen das Gegenteil der Fall zu sein scheint?
Ich glaube, dass es sich hierbei schlichtweg um eine optische Täuschung handelt. Wir reden über Stadtteile, in denen auch proportional mehr junge Frauen im gebärfähigen Alter leben – und die verstecken sich nicht mehr so wie früher. Die gehen raus, die zeigen sich, die empfinden Familie nicht als Belastung, sondern als Bereicherung.
Die jungen Mütter in Ihrem Buch sind trotz persönlicher Ängste und Zweifel im Grunde zuversichtlich und haben Spaß am Kinderkriegen. Sehen sie trotz Wirtschaftskrise, Klimawandel und unsicheren Renten eine positive Zukunft für ihre Kinder?
Alle meine Gespräche haben mir eines gezeigt: Kinderkriegen funktioniert nicht nach rationalen Erwägungen. Sonst würde doch keine Frau, die halbwegs bei Verstand ist, heute ein Baby haben wollen. Kinderkriegen ist kein politischer oder gesellschaftlicher Akt , sondern ein sehr persönlicher, sehr privater. Und wenn mein Buch diese Sichtweise wieder mehr in den Mittelpunkt rücken würde, dann wäre ich schon sehr froh.
Wäre es für die Hedonisten-Eltern nicht viel konsequenter und auch einfacher,wenn sie kinderlos geblieben wären und sich nur auf sich selbst konzentriert hätten?
Natürlich wäre es einfacher, wenn man kinderlos bliebe und sich nur auf sich selbst konzentrieren würde. Aber ich glaube, es gibt da ein Vorurteil: dass es die Hedonisten-Eltern immer gerne einfach hätten. Nur weil etwas einfach aussieht, ist es das noch lange nicht. Die um die Dreißigjährigen, egal ob in Berlin oder sonst wo, hatten und haben es nicht einfach: keine sicheren Jobs, hohe Anspruchshaltung seitens der Elterngeneration, aber auch von eigener Seite. Die wissen eines ganz genau: Leben ist höllisch kompliziert. Ein Kind, eine Familie kann ja im Gegenteil auch vieles einfacher machen. Strukturierter. Überschaubarer. Vor allem schöner.
Warum eigentlich »junge Mütter «? Zählt man mit dreißig heute noch zu den jungen Müttern?
Das ist ja nicht gerade überraschend, dass man in Deutschland mit dreißig noch als »jung « gilt. Der Kollege Claudius Seidl hat das in seinem Buch »Schöne junge Welt « sehr treffend beschrieben: Alt ist man dann, wenn man beschließt, alt zu sein. Heutzutage kann man eine Dreißigjährige optisch doch kaum von einer Zwanzigjährigen unterscheiden. Jugend ist ein Wert, und wer kann, leistet ihn sich eben so lange wie möglich. Vor fünfzig Jahren war man mit dreißig alt, vor zweihundert Jahren mit zwanzig. Diese Dinge verschieben sich nun mal, das ist keine Erfindung von mir. Außerdem liegt das Durchschnittsalter bei Erstgebärenden in Deutschland heutzutage ja bei knapp dreißig Jahren. Insofern hat die Bezeichnung »junge Mütter « ihre Berechtigung.
Trotz Kind und Kegel wirken die »neuen Mütter « stets up to date in Sachen Mode und Lifestyle. Was steckt hinter dieser perfekten Fassade?
In meinen Gesprächen wurde oft deutlich, dass diese Fassade lediglich ein Schutzschild ist. Hinter den großen Sonnenbrillen lassen sich die Augenringe gut verstecken, das Designer-Outfit täuscht über Unfähigkeit und Ãœberforderung hinweg. Wenn diese Vorzeigemütter ihre Kostümierung ablegen, plagen sie die gleichen Ängste und Sorgen wie andere Mütter auch.
Der teuerste Kinderwagen, die Kleinen in Designerklamotten und zum Mittagessen gibts Vollkornspaghetti mit Biotomatensoße. Geht es den »neuen Müttern « nicht vielmehr um Prestige?
Natürlich geht es in gewisser Weise auch darum. Welchen Lebensentwurf und Lebensstandard kann ich mir leisten? Wie kann ich mich von der Masse abheben? Vielleicht ist gerade das ganze Theater, das im sogenannten neuen Bürgertum ums Kinderkriegen und Kinderhaben gemacht wird, Ausdruck von Abstiegsängsten. Solange es noch für die Vollkornspaghetti mit Biotomatensoße reicht, können diese Eltern mit einem wohligen Schauer den Kopf schütteln über die Eltern der Pommes essenden Unterschichtenkinder.
Ein typisches Bild am Sandkasten in Prenzlauer Berg, in Eppendorf, im BelgischenViertel oder in der Isarvorstadt: Mütter in High Heels sitzen mit Coffee to go auf der Bank und schauen ihren Kindern beim Spielen zu. Häufig hatman das Gefühl, Eltern zu sein sei eine Art neuer, cooler Lebensstil. Wie sehen Sie das?
Es ist ja kein neuer Lebensstil, sondern der gleiche, den diese Mütter schon vorher gelebt haben. Nur dass sich nun eben die Treffpunkte verlagert haben. Man kommt heutzutage nicht mehr zur After-Work-Party in irgendeiner Bar zusammen, sondern trifft sich eben auf dem Spielplatz. Im legendären Berliner Club Cookies gibt es sogar eigene Nachmittage für Eltern und deren Kinder.
Finanzielle Sicherheit ist den »neuen Müttern« durchaus wichtig. Bekommen sie Job und Kind unter einen Hut? Wo müssen sie Abstriche machen oder Kompromisse eingehen?
Abstriche müssen sie permanent machen, bereits wenn sie morgens aufstehen. Der Nachwuchs muss versorgt und in die Kita gebracht werden, das verlangt mehr Zeit als früher. Aber ist das schlimm? Nein, das ist das Leben. Die meisten Mütter, mit denen ich gesprochen habe, bekommen es natürlich irgendwie unter einen Hut – aber für einen hohen Preis: Stress, Zeitnot, schlechte Laune.
Wie erziehen die »neuen Mütter« eigentlich ihre Kinder? Babyschwimmen, Babyyoga, Babyturnen das klingt nach einem strengen Beschäftigungsprogramm…
Nicht zu vergessen: frühkindliches Chinesisch. Aber ich glaube, eine neue Lässigkeit beobachtet zu haben, insbesondere bei den Frauen, die in den letzten zwei, drei Jahren Kinder bekommen haben. Man nimmt solche Angebote zwar zur Kenntnis, schmunzelt aber eher darüber, als dass man sie ernst nimmt. Es scheint so eine Art Backlash zu geben: So blöd will man dann auch nicht sein wie die Frauen, die vor fünf Jahren Mütter geworden sind und die jeden Quatsch mitgemacht haben.Andererseits sollte man den Fortschritt aber auch nicht komplett ablehnen: Vor zehn Jahren wusste man weniger über frühkindliche Erziehung und Entwicklung als heute. Und Babyturnen ist ja auch toll “ besonders für die Mütter, die da Frauen in gleichen Lebensumständen kennenlernen können. Es ist ein bisschen wie bei den Erstsemesterpartys früher an der Uni: Sie bieten die Möglichkeit, mit Kommilitonen ins Gespräch zu kommen; es zwingt einen aber keiner, dahin zu gehen.
Ist das Beschäftigungsprogramm am Ende eventuell sogar kontraproduktiv? Dürfen die Kinder heute noch Kind sein?
Um meinen Vater zu zitieren: Ein bisschen Ãœberforderung hat noch niemandem geschadet – unterfordert wird man hingegen permanent. Ich glaube schon, dass Kinder heutzutage noch Kinder sein dürfen. Die Eltern ermöglichen es ihnen, weil sie selbst Spaß daran haben, nachzuholen, was sie früher womöglich verpasst haben.
In den Stadtvierteln der jungen, hippen Familien herrscht oft heile Welt. Welche Schwierigkeiten ergeben sich daraus?
Die größten Schwierigkeiten, die sich meines Erachtens daraus ergeben, sind der Neid und die Missgunst, die sich diese Familien mit ihrem vermeintlichen Heile-Welt-Leben zuziehen. Das Berliner Stadtmagazin zitty führte vor zwei Jahren eine Leserbefragung durch, wer denn eigentlich der Lieblingsfeind der Berliner sei. Die »junge Familie in Prenzlauer Berg « gewann mit deutlichem Abstand vor den »Zugezogenen « und den »kriminellen Ausländern «.
Auch in Großstädten gehen die Kinder jetzt in Waldkindergärten und in Berlin gibt es inzwischen sogar Stadtbauernhöfe. Ein Leben auf dem Land – und das mitten in der Metropole. Die jungen Mütter scheinen alles zu wollen. Welche Gründe hat diese Entwicklung Ihrer Meinung nach?
Man will seinem Kind die Vorzüge der Natur nicht vorenthalten, nur weil man sich selbst nicht von seinem alten Großstadtleben verabschieden möchte. Die Nachfrage bestimmt eben das Angebot. Und nun zu den Männern: Gibt es eigentlich auch »neue Väter «? Hat sich deren Rolle und Selbstverständnis auch geändert? Ja, natürlich gibt es die. So wie es ja eh ein neues Männerbild gibt, das mit dem der Vätergeneration nicht mehr wahnsinnig viel zu tun hat. Damit meine ich nicht das Klischeebild des emanzipierten, metrosexuellen Mannes, sondern eher den »jungen Vater «, der die Fehler seines Vaters, seiner Erziehung nicht wiederholen will. Männer sehen sich heutzutage nicht mehr nur als Familienversorger, sie wollen aktiv am Familienleben teilhaben, sie wollen ihren Kindern nahe sein. Das sieht man doch schon allein auf den Straßen: Früher haben Männer bestenfalls heimlich den Kinderwagen geschoben, heute schnallen sie sich den Nachwuchs stolz und selbstbewusst vor die Brust. Manche nehmen sogar Elternzeit, auch wenn die Zahl noch sehr zu wünschen übrig lässt. Als ich zum Schreiben des Buches zwei Wochen an der Nordsee war, blieb mein Mann alleine mit unserer Tochter in Berlin. Für seine Mutter ist er damit wohl definitiv ein »neuer Vater «. Für mich ist er: mein Mann.
Das ganze Familienbild hat sich in den letzten Jahrzehnten verändert. Wo sehen Sie die gravierendsten Unterschiede zu den vorangegangenen Generationen?
Die familiären Hierarchien sind aufgebrochen, und das ist gut so. Heute ist ein Vater nicht mehr das Oberhaupt, das alleine Entscheidungen zum vermeintlichen Wohle der Familie trifft. Die einzelnen Familienmitglieder bilden heute vielmehr ein Team. Man kann sagen: Die Demokratie hat in den Familien Einzug gehalten. Allerdings warnen Erziehungswissenschaftler vor den neuen Konflikten, die sich daraus ergeben. Vor mangelndem Respekt der Kinder ihren Eltern gegenüber. Etwas Gutes hat das Ganze jedoch: Die Ratgeberliteratur kann sich über Umsatzrekorde freuen.
Wie steht es eigentlich um das Verhältnis der neuen Mütter zu ihren eigenen Müttern? Betrachten sie die Auffassung, die die ältere Generation von Familie und Erziehung hat, kritisch?
Was ich vor allem erlebt habe: Durch die Geburt eines Kindes verbessert sich das Verhältnis der neuen Mutter zu ihrer eigenen Mutter, vor allem in Fällen, in denen die beiden nicht in derselben Stadt wohnen. Großmütter sind ja heutzutage nicht mehr alte, Wollpullover strickende Frauen, deren einziger Lebenssinn darin besteht, sich gelegentlich um die Enkel zu kümmern. Sie sind aktiv und fast ebenso beschäftigt wie die neuen Mütter selbst. Ich habe bei meinen Recherchen beides erlebt: Kritik und Unverständnis der Älteren gegenüber den neuen Vorstellungen von Familie und Kindererziehung – aber auch Stolz darauf, dass die Tochter es anders, vielleicht besser macht, als es vor dreißig Jahren möglich war.
Sie sind Mutter einer kleinen Tochter und leben mit dem Vater ihres Kindes in Berlin-Prenzlauer Berg. Sind Sie selbst eine dieser jungen Mütter, die Sie in Ihrem Buch porträtieren?
Wahrscheinlich bin ich das und mit Sicherheit passe ich in dieses Klischee. Aber in dem Buch geht es ja darum, genau dieses Klischee zu hinterfragen. Deshalb sollten endlich auch die »Betroffenen« Generation Wickeltasche zu Wort kommen.
Zur Person:
Nana Heymann wurde 1977 in Ost-Berlin geboren. In den 90er-Jahren entdeckte sie das Berliner Nachtleben und schrieb darüber für unterschiedliche Musikmagazine. Heute arbeitet sie beim Tagesspiegel, schreibt für das ZEIT Magazin und die zitty.
Heymann lebt mit ihrem Mann und der gemeinsamen zweijährigen Tochter in Berlin-Prenzlauer Berg. Nana Heymanns Wickeltasche hat stolze 150 Euro gekostet, entworfen von einem österreichischen Jungdesigner. Ein astreiner Lebenslauf also um so ein Buch herauszubringen.
2 Kommentare
leider liegt die Welt halt schon bald vor unseren Füßen – nicht ganz zur Unschuld von diesen „die-Welt-liegt-uns-zu-Füssen-DenkerInnen“.
Aber wer ist der beste schwule Freund?
Na, kaufen würd ich mir das Buch sicher nicht … Klingt recht matt. Wer selber einige Zeit auf diesen „berühmten“ Berliner Spielplätzen verbrachte, der erkennt, dass sie auch nicht anders funktionieren als die Wiener – außer, dass der MigrantInnenanteil am Prenzlberger Spielplatz viel geringer ist.