Am Sonntag Vormittag, nach einer Party, geht man auf den Flohmarkt. Sonnenbrille auf der Nase, Limo in der Tasche und ein paar Palatschinken im Bauch.
Während wir genüsslich die Grotesken des letzten Abends durchgehen, sehe ich aus dem Augenwinkel ein Paar Wand-Kerzenhalter. Nachgefragte Designstücke. Ich frage den Händler nach dem Preis. Verschluck‘ mich fast an der Limo: 10€ für beide. Ich will zahlen, da schiebt sich ein bärtiger Mann zwischen mich und dem Stand. Ich markiere freundlich mein Revier und er fragt mit milder Stimme was ich dem Händler für die Kerzenständer zahle und ob er sie mir ums Doppelte abkaufen könne. Er will mir also 10€ dafür geben, dass ich vom Geschäft zurücktrete. Ich hätte die Kerzenhalter aber auch um 20€ oder sogar um 40€ gekauft und winke daher nach kurzer Abwägung ab. Wir verabschieden uns freundschaftlich voneinander und ich bedanke mich für den spannenden Augenblick.
Die Kerzenhalter stammen von der schwedischen Marke Skultuna. Sie werden heute noch produziert und kosten neu pro Stück 95€. Gebraucht muss man teilweise noch mehr für sie zahlen, was ungewöhnlich ist. Meistens kosten gebrauchte Designstücke weniger als Neuproduzierte. Rolex ist übrigens einer der wenigen Ausnahmen von dieser Regel.
Sie bestehen aus zwei Teile, die man so zusammensteckt.
Gleich darauf stolpere ich über einen Vorhang aus den 70er Jahren. Da es ein Vorhang ist, gibt es naturgemäß 2 Teile davon, die man beide sehr gut als Tischtücher verwenden kann.
Der Stoff zieht mich an, weil er meinen ästhetischen Sinn herausfordert und ich habe kürzlich die neue Tisch-Kollektion von Svensk Tenn gesehen, die mich auch herausgefordert hat. Sie ist sooo Hippie, fast chaotisch und ziemlich 70er Jahre. Svenskt Tenn ist zwar immer farben- und musterstark und oft fröhlicher als elegant, aber diese Tischdecke und Deck-Gestaltung fand ich unstrukturiert und gleichzeitig mutig. Wusste nicht recht, ob ich sie mag.
Und auch die schwedische Designerin Marie Olsson hat dieses Jahr einen Sonnenschirm mit barocken Blumen im 70er-Stil rausgebracht und dazu eine 70er-inspirierte Patchworkdecke in Brauntönen.
Beide Teile gefielen mir zwar gleich, aber ich war trotzdem etwas skeptisch, wie man den 70er-Stil in unsere Zeitepoche einarbeiten könne. Heute richten sich viele Menschen ein, wie in einem Hotelzimmer. Schlichte beige Flächen. Und auch ich habe die letzten Jahre die 70er auf „hold“ gestellt, obwohl ich sie eigentlich mag. Bei den meisten Menschen lösen die 70er großes Unbehagen aus. Noch schlimmer geht`s ihnen mit den 80er Jahren.
Aber, wenn man etwas immer wieder sieht, gewöhnt man sich und plötzlich liebt man, was man zuvor vielleicht sogar geschmacklos gefunden hat.
Auch das Gegenteil ist natürlich möglich: Wenn man etwas sehr sehr oft wahrnimmt, sieht man sich schlussendlich satt daran. Das war mir beim 70er Stil passiert.
Aber jetzt fangen die 70er Jahre wieder an bei mir zu wirken. Vielleicht in einen neuen Kontext gepackt. Rundherum muss ja nicht alles 70er sein.
Diese Vorhänge kosteten dann zusammen 6€ und ich bekam ungefragt einen dünnen netten Teppich und einen handgewebten kleinen Polsterüberzug als Draufgabe dazu. Mit dem neuen Tischtuch wurde gleich gedeckt. Wir aßen kleine Pizzen mit rote Rüben, Ziegenkäse, Honig und Nüsse.
Und, lustig, dieses 70er Jahre-Muster hat auch einen Touch von William Morris. Er designte zwar fast 100 Jahre früher seine Textilien und Tapeten, aber denkt nur an seine verschlungenen Blätter.
Nicht vorbeigehen konnte ich außerdem an diesem emaillierten Gußeisentopf. Sauschwer und sehr schön – mit dem zackigen Knauf, den geschwungenen Griffen und der schönen Farbkombi. Kostete 10€. Die Preise für schöne emaillierte Gusseisentöpfe gehen immer mehr hoch. Neu sind sie fast unbezahlbar, gleichzeitig sind sie kaum kaputt zu kriegen. Eignen sich sehr gut als Gebrauchtware.
Schwedische Gastrokultur
Auf dem Flohmarkt fand ich auch dieses Kochbuch in einem ungewöhnlich schmalen Hochformat – liebevoll gestaltet. Es erzählt die Geschichte der wichtigsten Stockholmer Restaurants. „Berns Salonger“, „Sturehof“, „Operakällaren“, „Gylene Freden“… In denen spielten „Hofmeister“ immer eine wichtige Rolle. Sie sind sowas wie die „Hosts“ des Lokals. Sie vergeben die Sitzplätze, sorgen sich um die Zufriedenheit aller Gäste und um die Gesamtstimmung im Gastraum. Und die gibt es bis heute in den Restaurants. Manche sind richtige Promis. Die Gäste kommen dann auch wegen ihnen.
Bis 1870 waren Restaurants in Stockholm eher dunkel, gemütlich und einfach. Holztische, Kerzenlicht und Hausmannskost. Auf dem Boden streute man Reisig aus. Dann fingen die ersten Gastronomen an den Reisig zur Tür hinauszukehren, legten Tischtücher auf die Tische und experimentierten mit einer Fusion aus französischer und schwedischer Küche.
Das führte zu einem immer besseren Angebot an hochklassigen Restaurants und Varietélokalen in Stockholm. Bis dann in den 20er Jahren der Verzehr von Alkohol nur mehr in Verbindung mit einer Mahlzeit erlaubt wurde. Pro Teller eine Portion Schnaps. Die Umsätze stürzen in den Keller und Wirtshäuser begannen „Bongspeisen“ auszugeben. Essen, das ungenießbar war und immer wieder bestellt und wieder in die Küche zurückgebracht wurde. Nur damit der Gast sich die dazugehörige Portion Alkohol bestellen konnte.
Erst 1955 wurde diese abgemilderte Form der Prohibition wieder aufgegeben. Das Restaurantwesen verblieb aber auch danach unspektakulär. Erst mit dem Einzug der Charterflüge in den 80er Jahren bekam die schwedische Gastrokultur wieder Aufwind. Die Schweden reisten durch die Welt, bereicherten sich um Geschmackserlebnisse, genossen kontinentales Ambiente und nach und nach stieg der Gastro-Standard in der Hauptstadt wieder an. Heute ist Stockholm auf Topniveau.
Im Buch findet man die besonders beliebten Rezepte der institutionallisierten Restaurants der Jahrhundertwende. Für die Fotos hat man sogar mit dem Porzellan und den Speisekarten der unterschiedlichen Etablissements gedeckt. Ich werde viele dieser Rezepte im Herbst nachkochen.
Zum Beispiel: Lachs-Quenelle mit Weißweinsauce und Forellenrom
(Also Lachs-Leibchen mit Weißweinsauce und Forelleneier)
Man kann auch Hecht-Fleisch dazu verwenden. Für die Leibchen vermengt man ca. 400g verschierten Lachs, Salz, 2 Eiweiß, etwas Cayennepfeffer und Weißpfeffer. Dann kommen 4 dl Schlagobers dazu. Alle Zutaten sollten die selbe Temperatur haben, sonst beeinträchtigt es den Fisch. Mit kaltgewasserten Löffeln werden eigroße Leibchen geformt und 3-4 Minuten in kochendes Salzwasser gelegt.
Die Fisch-Leibchen werden mit Reis und Weißweinsauce, Rom und Spinat serviert.
Oder klassisch: Wallenberger
Zarte Kalbfleisch-Burger mit Buttererbsen, Preiselbeeren und Kartoffelpüree. Das Fleisch muss durch das feinste Pürierblatt gemahlen werden. Am besten dreimal. Eigelb, Gewürze dazu. Burger formen, in Brösel wenden und Butter braten. Ich lieb es.
Oder: Seezungen-Gretin in Weißweinsauce
Der Fisch wird vorab kurz in einer gebutterten Kasserolle in Fischbouillon, mit feingehackten Scharlotten und Weisswein aufgekocht und zieht danach, mit einem Backpapier bedeckt, ein paar Minuten weiter. Dann warm halten.
Nachdem man den Fisch rausgehoben hat, wird die Bouillon (Mengenangaben siehe Foto) auf 3 dl reduziert und der Schlagobers bis auf 2 Esslöffel dazugerührt. Die Sauce weiterköcheln lassen bis sie eine gute Konsistenz erreicht. Doch noch ist die Sauce nicht fertig! Nun verrührt man die zwei Eigelb mit den verbliebenen 2 Esslöffel Schlagobers und mengt diese der Sauce bei – lässt sie aber NICHT mehr aufkochen. Sonst flockt sie! Am Ende noch den Käse dazugeben – und jetzt ist die Sauce endlich fertig.
Ich wusste nicht, dass man beim Gretin die Kartoffeln erst püriert und gratiniert und dann erst den Fisch und die Sauce in die Mitte platziert. Aber so ist es. In die Gretin-Mulde werden jetzt die Seezungen gelegt und dann diese ungeheuer gute Sauce zwischen Fisch und Gretin geschüttet.
Und zum Abschluss ein Klassiker: Coup Dänemark
Einfach Vanilleeis mit selbstgemachter Schokosause. Die geht leicht:
1 dl Kaukau
1dl Zucker
1 dl Wasser
Alle Zutaten in den Topf. Kurz aufkochen lassen und dann auf kleiner Flamme unter Umrührung ziehen lassen, bis sie eine saucige Konsistenz erreicht.
Und, seid´s schon hungrig?