Diese Frage stellen sich die meisten werdenden Mütter. Denn gar nicht stillen, steht kaum zur Debatte.
Gisele Bündchen stillt auch während der Arbeit
Die stillende Mutter: das ist die weißgewandete, ausgeglichene, selig lächelnde Mutter, die mit ihrem Kind an der Brust eine untrennbare Einheit bildet. Selbst Kinderlose sind der Meinung, dass man seinem Nachwuchs das weiße Gold nicht vorenthalten dürfe.
Doch die Realität ist oft eine andere: Körperliche Schmerzen (entzündete Brustwarzen, Fieber, Milchstau), Dauerstillen (nach Bedarf des Säuglings, zum Teil alle ein, zwei Stunden), Schlafmangel, permanente Mutter-Kind-Symbiose; zeitintensives und mühsames Abpumpen. Zudem ist die Qualität der Muttermilch auch von Umweltbelastungen betroffen.
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Stillen ist also nicht immer auch das Beste für die Mutter. Doch haben Mütter heute nicht ohnehin die Wahlfreiheit? Keine Mutter wird doch zum Stillen gezwungen?
Haben Babys ein Recht darauf, gestillt zu werden?
Nun, nicht ganz: Der WHO-Kodex zur Vermarktung von Muttermilchersatzprodukten verbietet Werbung für Milchpulver, das in Konkurrenz zur Muttermilch steht; ebenfalls verboten sind: Babybilder auf dem Verpackungsmaterial; keine Aktionen in Drogeriemärkten; alle Produkte müssen Überlegenheit der Muttermilch betonen: Stillen ist das Beste für Ihr Baby.
Der WHO-Kodex bestimmt, dass jegliche Aussage, die Frauen vom Stillen abhalten könnte, von ihnen ferngehalten werden soll. EU-Dokumente sprechen vom Recht des Säuglings, gestillt zu werden. Nur wo wird das Recht der Mutter auf Selbstbestimmung festgeschrieben?
Die UNICEF hat das Zertifikat Babyfriendly in Krankenhäusern, die das Stillen besonders fördern, etabliert. Doch aktuell sieht die UNICEF Schweiz nach Befragung des Klinikpersonals den Dogmatismus-Vorwurf von Müttern in diesen Häusern bestätigt, und will die strengen Statuten ändern.
Bröserlmilch und Falschenkinder
Mütter von heute sind bei weitem nicht so frei, wie ihnen heute vermittelt wird, denn sie haben einen ständigen Begleiter- und das ist nicht der schicke Kinderwagen, das hippe Accessoire für die sogenannten neuen Väter – es ist das Schuldgefühl.
Wenn ihr Kind schreit, wenn es an der Brust nicht genug trinkt, wenn sie zu früh abstillen, wenn ihnen das Stillen Schmerzen bereitet oder lästig ist. Das Kind gilt als ihr Produkt – ein Produkt ihrer erzieherischen Bemühungen, der ultimative Beweis, alles richtig gemacht zu haben. Und natürlich auch ein Produkt ihrer Ernährung.
Was passiert, wenn Mütter beginnen, das Stillparadigma zu hinterfragen und sich gegen das Stillen entscheiden? Die Entscheidung, nicht stillen zu wollen, gleicht heutzutage einem Outing. Diffamierende Ausdrücke wie Flaschenkinder und Vorwürfe wie: „Was? Du fütterst dein Kind mit Bröselmilch?“ So Zuschreibungen wie Rabenmutter, kennt jede Mutter, die sich entscheidet, nicht zu stillen oder früh abzustillen. Und leider sind solche Mütter auch küchenpsychologischen Analysen wie „Du Arme, du hast wohl ein gestörtes Verhältnis zu deinem Körper“, bis hin zu Vorwürfen wie: „Wie kannst du nur so egoistisch und oberflächlich sein? Du willst dir wohl deinen Busen nicht durchs Stillen ruinieren?“, ausgesetzt.
Mit der Muttermilch aufgesaugt …
Der Stillzwang korrespondiert auch mit einem konservativen Mutterbild, das wir eigentlich bereits überwunden hatten. Zumindest glauben wir das. Die psychologisch-pädagogische Fachliteratur und die populäre Ratgeberliteratur haben es uns in den letzten dreißig Jahren immer wieder eingehämmert: Kinder sind zerbrechliche Wesen. Die frühe Mutter-Kind-Bindung entscheidet über den späteren Lebensverlauf und die positive Persönlichkeitsentwicklung des geliebten Nachwuchses. Und welche Mutter will bereits am Beginn völlig versagen, indem sie ihrem Kind die richtige Nahrung bewusst vorenthält?
Eigentlich müssten die Schuldgefühle nicht sein. Denn Säuglingsnahrung ist heute mehr als hochwertig – und sie wird immer besser. Die Mutter ist flexibler, der Stillrhythmus bestimmt nicht ihren gesamten Tagesablauf und sie können sich die liebevolle Ernährung des Babys mit ihrem Partner teilen.
Intensiver Körperkontakt und eine emotionale Bindung zum Baby kann durch Fläschchen geben genauso hergestellt werden. Nur: davon hört und liest man bzw. frau kaum etwas!
Miranda Kerr ist stolz auf ihre Stillkompetenz
Stillstudien und ihre Relevanz
In regelmäßigen Abständen erscheint die neueste Still-Studie, und langsam haben Frauen und übrigens auch Männer sich schon daran gewöhnt, dass Voll-Stillen einfach alle Probleme zu lösen scheint: es bewahrt Frauen vor Brustkrebs, es formt – angeblich – nicht nur den Körper der Mutter schnell wieder zu Modelmaßen, es formt auch unseren geliebten Nachwuchs zum Spitzenmenschen: allergie- und asthmafrei, ein akzeptabler Bodymaß-Index, intelligenter, fitter, gesünder – einfach glücklicher.
Viele Medien, und auch die Still-Studien selbst, gehen jedoch nicht sorgfältig mit dem Datenmaterial um, denn bis heute existieren unterschiedliche Definitionen von Vollstillen und Teilstillen in den Studien. Zudem verabsäumen es viele Studien, die sozioökonomische Lage des Kindes miteinzubeziehen. Mittlerweile geben auch stillbefürwortende ÄrztInnen zu, dass es keinen Beweis dafür gibt, dass gestillte Kinder später seltener Allergien haben.
Im Gegenteil: Manche Studien zeigen auf, dass Vollzeitstillen das Risiko Allergien zu entwickeln sogar steigern kann. All diese angeblichen gesundheitlichen Vor- und Nachteile des Stillens spielen sich aber in so kleinen Signifikanzen ab, dass jede Mutter beruhigt den Fütterungsweg wählen kann, der ihr lieber ist.
Still‘ und sei still!
Stillen fördert aber eben auch eine klassische Rollenaufteilung – und wollten Frauen nicht genau diese durchbrechen? Die Erhöhung der Mutter hängt mit dem Siegeszug der Psychologie und vor allem der Psychoanalyse zusammen. Im 20. Jahrhundert setzte sich die Überzeugung durch, dass die frühe Mutter-Kind-Beziehung einen entscheidenden Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes hat. Die Mehrzahl der Menschen, auch der Mütter, glaubt inzwischen fest daran, dass das mütterliche Verhalten gegenüber dem Baby und dem Kleinkind über dessen seelische Gesundheit, ja über sein künftiges Lebensglück entscheidet.
Die exklusive Mutter-Kind-Beziehung wird heute, im 21. Jahrhundert, wieder überhöht und biologistisch verklärt. Derzeit existiert ein paradoxes Frauenbild: Einerseits wollen Mütter heute möglichst lange und nach Bedarf stillen, das heißt ihre Brüste sollten permanent verfügbar sein, laut WHO am besten zwei Jahre. Dennoch sollen sie möglichst früh zu ihrem Arbeitsplatz zurückkehren und sich am besten gleich nach der Geburt weiterbilden und am neuesten Stand bleiben. Was die Partnerschaft betrifft, so ist auch der Vater gefordert.
Denn der neue Vater ist in den letzten Jahren ein beliebtes Feuilleton-Thema geworden. Was er nicht alles tut, was er nicht alles kann. Es gibt Papa-Literatur, witzige Väter-Blogs, und auch die Werbung hat die neuen Väter entdeckt. Sie verkaufen Instantsuppen oder Autos. Der neue Vater fungiert als Covermodel für die Familienmagazine der Generation Neon – der neue Papa ist hip. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus: Die Männer, die tatsächlich Karenzzeit nehmen, sind immer noch in der absoluten Minderzahl.
Kein Wunder also, dass die neue Mutter da auf der Strecke geblieben ist. Abgesehen davon, dass der neue Vater vor allem eine gute Schlagzeile hergibt, kommen Definitionen von neuen Müttern in den Medien nicht vor. Und das hat auch einen guten Grund: am traditionellen Mutterbild, also der Mutter, die sich für ihre Familie aufopfert, hat sich nämlich nichts geändert. Zwar sehen Mütter vielleicht anders aus als noch vor einigen Jahrzehnten, doch ihre Rolle in der Familie ist gleich geblieben.
Dieser geschlechterpolitische Stillstand korrespondiert mit dem Still-Dogma. Die exklusiv stillende, ständig verfügbare, über alternative Heilmethoden und Tragetuch-Bindemethoden top informierte Frau: so sieht das Mutterbild im Jahr 2012 aus. Modern und neu klingt das allerdings nicht wirklich.
Loslassen und neue Wege gehen
Die Mütter selbst sind daran auch nicht ganz unschuldig. Sie müssen lernen, loszulassen, lernen, dass auch ein Vater fähig ist, ein Kind zu wickeln, die passende Kleidung auszusuchen und letztendlich auch dem gemeinsamen Baby das Fläschchen zu geben. Lernen Verantwortung abzugeben und auch – so hart das klingt – ihre temporäre Ersetzbarkeit zu akzeptieren. Dieses Loslassen betrifft nicht zuletzt auch die außerfamiliäre Betreuung.
Eine Gesellschaft, die es als das Beste ansieht, wenn das Kind die ersten drei Jahre bei der Mutter verbringt, wird klarerweise nie die Dringlichkeit sehen, genug Krippenplätze zu schaffen. Und so kommt es auch dem Staat sehr entgegen, wenn dieses Bild der guten Mutter weiterhin genauso propagiert wird. Nicht zuletzt wird damit auch ignoriert, dass außerfamiliäre Erfahrungen und soziale Kontakte kleinen Kindern guttun.
Es ist paradox: der Staat befindet sich in Dauer-Panik vor dem sogenannten Gebärstreik der gut ausgebildeten Mütter. Bekommen solche Frauen dann den heiß ersehnten Nachwuchs, der unser marodes Pensionssystem einmal retten soll, wird von ihnen erwartet, so schnell wie möglich an den Arbeitsplatz zurückzukehren. Gleichzeitig wird jedoch von einer guten Mutter auch erwartet, dass sie, um die körperliche und psychische Gesundheit des Kindes nicht zu gefährden, permanent um ihr Kind kreist. Wie sie jedoch diese beiden Rollen adäquat erfüllen soll – dabei wird sie alleine gelassen.
Letztendlich leiden unter dem derzeitigen Mutterbild aber beide Geschlechter: Der Vater ist weiterhin in der Rolle des Familienernährers gefangen, soll aber trotzdem viel sogenannte Exklusivzeit mit dem Kind verbringen und eben die Rolle des neuen Vaters erfüllen. Die Mutter soll zwar die ersten Jahre permanent für das Kind da sein, gleichzeitig aber auch die Rolle der finanziell vom Staat und Partner unabhängigen, arbeitenden Frau erfüllen. Sie soll Vollzeit arbeiten gehen, damit sie später auch genug Pension erhält.
Frauen, die es einfach nicht schaffen, oder es auch einfach nicht wollen, 40 Stunden die Woche zu arbeiten und sich daneben auch noch Vollzeit um die Kinderbetreuung zu kümmern, auch wenn sie nicht Alleinerzieherinnen sind, werden schnell als faul diffamiert. Eine Frau soll heute ihren Lebensmittelpunkt zwar in ihrem Kind sehen, aber auch in ihrer Arbeit. Nur Hausfrau zu sein ist heutzutage fast so verpönt, wie nicht zu stillen.
Stillen: Role Models und Rollenbilder
Wöchentlich grinsen sie aus den bunten Blättern – die Super Women, die uns als Role Models vorgeführt werden und die anscheinend ihre Karriere und ein erfüllendes Familienleben mit einem Lächeln schaukeln. Die Realität sieht anders aus: Frauen müssen heute viel zu viel leisten und funktionieren.
Müttern sollten aber heute alle Möglichkeiten offen stehen. Sie sollten ihren für sie passenden Lebensentwurf frei wählen dürfen: den der Vollzeit arbeitenden Frau genauso, wie den der Frau, die ihre Erfüllung nicht ausschließlich in ihrem Job sieht und gerne ihre Freizeit genießen möchte.
Nicht zu stillen ist in unserer Gesellschaft immer noch etwas Defizitäres. Doch auch Frauen, die nicht stillen, können ihrem Baby etwas geben, von dem es profitiert. Denn es kann auch ein Geschenk sein, wenn beide Elternteile liebevoll die Verantwortung für dessen Ernährung übernehmen. Es nimmt der Mutter den Druck, ganz alleine für die gesunde Entwicklung des gemeinsamen Nachwuchses verantwortlich zu sein. Und es wirkt sich positiv auf die Partnerschaft aus!
Lese-Tipp: Es gibt unzählige Ratgeber zum Thema Stillen, jedoch bis dato keinen einzigen zum Thema Nicht-Stillen. Das ändert sich jetzt. Am 26. November erscheint Wie, du stillst nicht? Das Praxisbuch für Mütter, die nicht stillen wollen oder können von Regina Masaracchia Die Autorin ist diplomierte Krankenschwester und interessanterweise Mitglied der La Leche Liga Italien, sowie des VSLS (Verband der Still- und Laktationsberaterinnen in Südtirol)
Familie Rockt ist ein Elternmagazin und Elternblog – Portal. Das Magazin erscheint alle zwei Monate und bietet nette Artikel für Mütter und Väter und solche die es werden wollen. Auf www.familierockt.com können Eltern über ihr Leben mit Kindern bloggen.