Slavica will einen Vormerkschein für Gemeindewohnung

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Sie und ihr Mann und ihre zwei kleinen Kinder wohnen in einer verschimmelten Einzimmerwohnung, und sogar diese müssen sie in wenigen Monat verlassen. Dann werden ihr die Kinder weggenommen.

Das erste Mal treffe ich sie auf der Mariahilferstraße, wo ich gerade Menschen auf der Straße für Familie Rockt TV Interview. Sie stellt sich einfach neben mich, und schaut mir beim Interviewen zu und fragt dann frech, worum es da denn eigentlich gehe. Ich lache und meine: „Über Familie und so.“ Sie sagt: „Wollen Sie mich auch interviewen? Ich habe auch eine vierköpfige Familie, aber nur 28qm.“

schimmel
Ja, das will ich. Man erzählt immer seinen Kindern, dass früher mehrköpfige ArbeiterInnen-Familien in kleinen Zimmer- Küchen-Wohnungen gewohnt haben, als wäre das heute nicht mehr möglich. Aber natürlich gibt es das auch heute. Nur, die meisten FreundInnen und Bekannten wohnen dann doch in ganz passablen Genossenschaftswohnungen oder renovierten Altbauten. Auch die, deren Eltern noch als ArbeiterInnenkinder aufwuchsen.
Slavica stammt aus einer serbischen Familie, die 1992 aus Jugoslawien nach Wien flüchtete. Hier bekamen sie sechs Monate Visum, um dann wieder nach Serbien zurückgehen zu müssen. Danach kehrten sie auf nochmalige sechs Monate zurück nach Österreich. So ging es einige Jahre hin und her. Für Slavica bedeutete das, dass ihre Schulkarriere alle sechs Monate unterbrochen wurde. Wenn sie zurück nach Österreich kam, musste sie die Schulstufe wiederholen, weil sie natürlich nicht am selben Stand war wie die anderen Kinder. Nach der Volksschule wurde sie in eine Sonderschule versetzt und zwei Jahre später wollte sie nicht mehr. In der Schule wurde sie nicht gefördert und sie konnte hier kein Selbstbewußtsein aufbauen. Sie schämte sich und wollte Geld verdienen.
Als Reinigungskraft konnte sie das und die österreichische Staatsbürgerschaft erhielt sie schließlich auch.
Slavica kann bis heute nicht lesen und schreiben. Amtliche Briefe müssen ihr Freunde vorlesen. In ihrer Handtasche bewahrt sie ihr kleines Amtsarchiv auf und erkennt an der Ausformung der Briefköpfe und Textkästen, auf welchem Papier wohl was steht.

Wie wohnt man auf 28qm?

Ich besuche Slavica und ihre Familie im 14. Bezirk. Hier wohnt sie in einem 50er-Jahre-Bau, der gerade renoviert wird. Die Fassade wird neu gemacht. Ob dadurch auch der Schimmel verschwinden wird, der sich innen wie ein Hautausschlag über das gesamte Stiegenhaus zieht, kann man nur hoffen. Wenn man die Stockwerke raufgeht, sieht man über den Hof hinaus auf das Nachbargrundstück. Auf dem steht ein großes bürgerliches Wohnhaus mit Swimmingpool im Garten. Dort wohnen die Besitzer von Slavicas Wohnhaus.
Die gesellschaftspolitische Ungerechtigkeit auf einen Blick.

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Die Wohnung ist irgendwie süß und auch freundlich eingerichtet, wenn auch eine Generalsanierung notwendig wäre. Der Parkettboden ist locker, abgetreten und daher fleckig, die Wände in Küche und Bad verschimmelt und alle Instal- lationen noch original 50er Jahre.
Im Vorzimmer steht der Kleiderschrank und im ca. 18 qm großen Wohn/Schlafzimmer hat eine Couch und ein kleiner Tisch Platz. Sonst nichts. Hier gibt es auch kaum Spielzeug oder andere Einrichtungsgegenstände. Dafür wäre einfach kein Platz. Auf der Couch schlafen sie zu viert und untertags wird hier gespielt, geraucht, ferngeschaut und geplaudert. Alles passiert in diesem kleinen Raum.

Keine gute Kombi

Slavica hat Asthma. Wenn sie Kleider waschen geht, muss sie vier Stockwerke in den Keller runterlaufen. Unten angekommen braucht sie ihren Asthma-Spray. Wenn sie die Wäsche hochtragen muss, bleibt sie in jedem Stockwerk stehen, weil sie keine Luft bekommt. Auch die Kinder husten. Dass sie nicht rauchen sollte, weiß sie natürlich…das alles ist keine gute Kombi.

Sorgenmama

Slavicas Mama ist auch auf Besuch. Sie sieht älter aus als sie ist und macht einen müden Eindruck. Sie hat letztes Jahr ihre Wohnung verloren und damit auch ihren Vormerkschein für eine Gemeindewohnung.
Zwei Jahre muss man in einer Wohnung gelebt haben, um einen Vormerkschein zu erhalten. Überbelag und Schimmel reichen nicht allein aus um eine Gemeindewohnung zu erhalten. Man kann höchstens in die Warteliste für einen Vormerkschein für eine Gemeindewohnung kommen. Wer nach Erhalt eines Vormerkscheins aus der aktuellen Wohnung auszieht, verliert diesen wieder. Das ist zumindest Slavicas Mama passiert und seither ist sie obdachlos. Manchmal schläft sie bei ihrem Sohn und dessen Familie, doch in seiner Wohnung gibt es auch kaum Platz. Wenn es draußen warm ist, übernachtet sie daher mit ihrem 14jährigen jüngeren Sohn im Park.

Sie würde gerne in einer Familienherberge der Stadt Wien unterkommen. Eine behördliche Zuweisung hat sie auch schon erhalten. Doch als sie in der Kastanienallee anrief, sagte man ihr, es sei kein Zimmer frei. Dass man durchaus öfter anrufen und nachhaken muss, um eine Unterkunft zu erhalten, wußte sie nicht. Ich auch nicht. Das habe ich bei meinen Recherchen erfahren. Man wolle nur Personen aufnehmen, die wirklich nachhaltig an einer Unterkunft interessiert wären und nicht nur für eine Nacht ein Dach überm Kopf suchen. Um zu beweisen, dass man wirklich einen Unterschlupf brauche, müsse man sich lästig zeigen. Das muss man eben wissen. So steht das sicher in keiner behördlichen Anleitung.

Es wird nicht besser

Slavicas Kinder haben keinen Rückzugsort und die ältere Tochter, Milica, hat keinen Platz, an dem sie geordnet ihre Hausaufgaben erledigen kann. Freundinnen nach Hause einladen will sie auch nicht.
450€ zahlt die Familie für die 28qm. Der Strom kommt zusätzlich auf 130€ im Monat.
„Warum so viel? Wir haben hier nichts, was so viel Strom kosten kann. Wäsche waschen wir im Keller. Das kostet zustäzlich 1,70€ pro Waschgang,“ fragt sich Slavicas Mann. Aber die bei Wien Energie können es ihm auch nicht sagen. Vielleicht wird die neue Dämmung dieses Problem lösen.
Er arbeitet als Hilfsarbeiter am Bau und fährt jeden Tag eineinhalb Stunden nach Wiener Neustadt um zu schaffen.
Obwohl die Familie unter den Wohnbedingungen leidet, könnte sich die Wohnsituation in wenigen Monaten noch weiter verschlechtern. Ihr Mietvertrag läuft nämlich mit April aus. Und dann ist auch der Vormerkschein weg. Was wird dann werden? Slavica hat große Angst vor dem Frühjahr.

Kommunikationsprobleme

Ich rate Slavica bei der Wohnkommission vorzusprechen und sie vom drohenden Wohnungsverlust in Kenntnis zu setzen. Sie ruft mich am nächsten Tag verzweifelt an. Sie komme nicht durch. Es laufe dauernd das Band. Sie war auch schon in der Graumanngasse, wo die Wohnkommission zu Hause ist, aber ohne Termin könne man nicht hinein.
Ich schau im Netz nach und finde eine Emailadresse. Ich will ihr schon sagen, dass sie schriftlich um einen Termin bitten soll, aber da fällt mir ein, dass sie nicht schreiben kann und ich verfasse in Vertretung eine Bitte um einen Termin.
Die Wohnungskommission will die Vormerkscheinnummer haben, sonst könne sie keinen Termin vergeben. Ich frage mich ob Slavica die Vormerknummer auf ihrem Schein finden kann? Und kann sie Ziffern ablesen? Ja, das kann sie. Sie sagt mir die Ziffern auf und ich schicke sie der Wohnungskommission.
In der Antwort heißt es: Es hätte ein Fürsprachebrief vom Jugendamt kommen müssen, aber der sei nie angekommen. Außerdem wurde der Antrag auf die Gemeindewohnung bereits vor wenigen Monaten abgewiesen. Punkt. Damit sei die Sache erledigt.

Bitte Fürbitte

Ich schreibe noch einmal: Ja, das wüßte ich. Aber was die Wohnungskommission zum Zeitpunkt der Ablehnung noch nicht gewußt hat, und worauf ich schon in meinem Eingangsmail hingewiesen habe: Die Familie ist nicht nur von Schimmel und Überbelag betroffen, sondern auch von drohendem Wohnungsverlust. Darauf erhalte ich keine Antwort mehr.

Slavica ruft mich an und ich betone noch einmal, dass ich ihr nicht versprechen kann, dass ich ihr wirklich eine Wohnung verschaffe. Ich bin nicht die Lösung ihrer Lebensprobleme. Ich kann höchstens Informationslücken schließen. Slavica kann zwar nicht lesen und schreiben, aber sie denkt strukturiert und weiß ganz genau, welche Schwierigkeiten in der Kommunikation entstehen können und sie hat auch ein gutes Grundverständnis für das Zusammenwirken von Ämtern und Gesetzen.
Ich entschließe mich dem Jugendamt in Vertretung von Slavica zu schreiben und sie in Kenntnis zu setzen, dass ihr Fürsprachebrief nicht bei der Wohnkommission angekommen ist. Sie sollen ihn doch bitte noch einmal wegschicken.
Ohne schriftliche Korrespondenz wäre es gar nicht möglich gewesen herauszufinden, dass der Frühsprachebrief nie angekommen ist. So wird Slavica Analphabetismus zum ernsten Handicap.

Ich gehe eine Ebene höher

Ich rufe im Büro vom Wohnungsstadtrat Ludwig an und erkläre dort einem Mitarbeiter, wie die Lage der Familie ist. Ich weiß natürlich, dass Slavica und ihre Familie nicht die einzigen sind, die unter solchen Bedingungen wohnen und wenn ihr geholfen wird, ändert sich nichts an der Struktur der Vergabe oder am allgemeinen Angebot an Gemeindewohnungen. Aber ich kann ja nicht nur eine „Geschichte“ über sie machen und es gut sein lassen? Es geht ja nur um ein paar Anrufe und Mails. Viel mehr steht sowieso nicht in meiner Macht. Aber ob ein paar Anrufe genügen, um ihre Lebenssituation zu verbessern?

Happy End?

Es ruft mich ein Herr von Wiener Wohnen zurück und bespricht die Daten mit mir. Er überprüft die Akte und dabei kommt raus, dass Slavica‘s Mann noch nicht, wie die anderen Familienmitglieder, seit zwei Jahren in der Wohnung gemeldet ist. Er war zwar immer wieder in Österreich und wohnte dann auch bei seiner Familie, hat aber erst seit einiger Zeit eine Aufenthaltsgenehmigung.
Das ist ein Grund für die Ablehnung durch die Wohnungskommission. Es müssen alle Gemeldeten durchgehend zwei Jahre in der Wohnung gelebt haben. Da sie aber auch ohne den Papa alle Kritierien eines Überbelags erfüllt, macht es keinen Sinn diese Regel bei der Familie anzuwenden. Sie soll verhindern, dass Menschen dazugemeldet werden, um sich einen Überbelag zu erschleichen.
Aber, sagt mir der Herr, verliere die Familie den Vormerkschein nicht automatisch, wenn sie im April aus- bzw. umziehen sollten. Nur, dann wenn sie in eine große Wohnung ziehen und kein Überbelag mehr besteht. Aber eine so große Wohnung werden sie sich schwer leisten können.
Mein Kontaktmann bei Wiener Wohnen will sich den Fall jedenfalls noch einmal anschauen…
Das ist ja schon mal gut. Eine Angst kann ich Slavica nehmen. Den hart „erwohnten“ Vormerkschein verlieren sie nicht.

Das Büro des Wohnbaustadtrats meldet sich ca. eine Woche später bei mir. Sie haben sich den Akt genau angeschaut und sind auch der Meinung, dass die Familie eine größere Wohnung bekommen sollten – jedoch könne man nicht außerhalb der allgemeingültigen Verordnungen agieren. Schließlich ist die Wohnungsvergabe an ein transparentes Reglement gebunden, dass für alle gleich gültig sein muss. Und das leuchtet natürlich ein. Nach diesem Regelwerk steht der Familie eine Wohnung zu, aber nur wenn es auch eine gibt. Und es gibt keinen Überschuss an Gemeindewohnungen. Das heißt, warten. Vielleicht zieht jemand aus. Vielleicht stirbt wer? Und für den Schimmel ist das Magistrat 37 zuständig, erklärt er mir.
Ich werde die Adresse und die Telefonnummer vom Magistrat 37 ergoogeln und Slavica ausrichten, wohin sie sich wenden soll. Und gleichzeitig gibt es ein wenig Hoffnung, dass im nächsten Frühjahr die beiden Mädls ein Kinderzimmer bekommen werden…Die Tage vergehen. Die Tage werden länger…

Wir werden in Kontakt bleiben – sowohl mit Wiener Wohnen, als auch mit Slavica. To be contiued!

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