Die Veranda wird Stück um Stück mit alten Fenstern eingeglast. Micke steht in der Früh um 7 auf und fängt mit dem Tischlern an. Ich begleite die Kinder in den Segelkurs und danach setze ich mich in mein „Büro“ und arbeite.
Das „Büro“ ist ein Gartencafe und macht erst um 11.00 auf. Ich arbeite während sie die Tische putzen und Lieferungen annehmen. Dann gibts Kaffee.
Auch Werbemenschen können was drauf haben
Außerdem habe ich es geschafft ein Magazin zu lesen, dass ich vor 6 Monaten gekauft habe. Das ist erleichternd. Ein Artikel handelte von Linus Karlsson. Ein schwedischer Copywriter. Er boxte die Jeansmarke Diesel an die internationale Wahrnehmungsoberfläche. Daraufhin bot ihm Fallon McElligott, eine amerikanische Werbeagentur, einen Job in den USA an. In manchen Kulturen ist es üblich, erfolgreiche, innovative Menschen wahrzunehmen und in Folge anzuwerben während in anderen Kulturen fast ausschließlich aus dem Bekanntenkreis rekrutiert wird.
Linus kommt aus armen Verhältnissen. Als Kind musste er den Einkauf vom Supermarkt mit einer Fahrradkette verteidigen. Heute geht er mit Aretha Franklyn auf Events und trinkt Kaffee mit George Clooney. Er ist aber immer noch klassenbewusst. Es gibt kein Verständnis der Gesellschaft ohne Klassenbewusstsein, meint er. In seinen Clips macht er Personengruppen sichtbar, die Aussenseiter sind oder nicht in Stereotypien passen. Er sei ein Werbefachmann, der Werbung hasst.
Vor einigen Jahren warb ihn McCain als Kreativ Director an. Eine der größten Werbeagenturen der Welt. Aber damals bei weitem nicht mehr die Beste. Er nahm den Auftrag an, aber nur wenn das Hauptbüro entweder nach Harlem ziehe oder vollkommen neu gestaltet würde. Da sie einen Kettenvertrag auf viele Jahre hatten, wurde der zweite Vorschlag umgesetzt. Linus höhlte 6 Stockwerke in einem Hochhaus auf Manhattan aus, machte neue Arbeitsbereiche, die durchdesigned waren (und Preise von Einrichtungszeitungen bekamen), holte alte preisgekrönte Werbungen von McCain aus dem Archiv, die seit 30 Jahren niemand mehr angeschaut hatte, und ließ sie neu einrahmen, stellte neue junge Leute ein und installierte eine Werbeagentur in der Werbeagentur, die nur freudvolle Produkte ohne Gewinnabsicht für die Kunden erstellen sollte. Heute steht McCain wieder gut da.
Eines seiner wichtigsten Jobs war die Arbeit mit Chevrolet. Ein Auto in der Krise. Beheimatet im abgefuckten Detroit. Er gestaltete die Werbung mit dem Autofahrer im Zentrum. Aber nicht als cooler Sunnyboy, sondern als Vater, der seine Kinder zum Sportverein fährt, tröstet und sich um sie sorgt. Also, wie sonst Frauen dargestellt werden. Der Clip war sehr erfolgreich und katapultierte Chevrolet wieder in die Herzen der Amis. Er gestaltete danach die ganze Chevrolet-Zentrale in Detroit neu, analysierte die Autoszene und steckte neue Marketingziele. Es gab einen Schneeballeffekt und immer mehr Agenturen und Automarken in Detroit versuchten neue kreative Wege zu gehen. Heute ist die Stadt wiederbelebt und ein Hotspot.
Linus Karlsson wechselt nun wieder Firma und hat erneut einen lahmen Riesen übernommen. Er wird wieder radikal vorgehen. Erst wenn die Manager im Raum Panik und Todesangst bekommen, wisse er, dass seine Vorschläge genau richtig sind.
Erdbeeren und Tapeten
Außerdem essen wir schwedische Erdbeeren (sind kleiner und geschmacksintensiver als spanische) und lesen natürlich Einrichtungsmagazine. Und ich überlege welche Tapete die Veranda bekommen soll. Derzeit ist diese die Nummer 1: Dancing Crans. Kühl, hell, dekorativ aber nicht zu kitschig.
Die Veranda erhält nach und nach mehr Fenster.
Dazwischen werden Panele gestrichen.
Dann wieder spaziert und Fenster von anderen Häusern bewundert.
Mit den lieben Großeltern wird Kaffee getrunken. Ohne sie wäre die Veranda ein Stück weniger weit gediegen.
Schwedischer Sommer halt.
Cupsegeln
Und Fritzi hat am Ende der Segelwoche an einem Cup teilgenommen – und gewonnen! Lustig, dass sie als einzige Alpenländerin das Rennen gemacht hat. Micke pfiff, als sie und ihre Partnerin als erste ins Ziel fuhren. 3 Eltern drehten sich daraufhin irritiert zu ihm um und schauten missgünstig. Ich sagte erklärend: „Wir freuen uns halt, dass wir keine Loser-Eltern sind!“ Nein, das tat ich natürlich nicht. Ich fühlte mich wie eine Kulturunwissende und verstand nicht, warum die Atmo plötzlich angespannt war? Die Woche hatten sie zudem auch einen Sandwich-Wettbewerb gemacht, bei denen richtige Kunstwerke fabriziert worden waren und die Hoffnung auf eine Prämierung sowohl unter den Kinder wie den Eltern spürbar war. Und dann darf man nicht kurz pfeifen, wenn das Kind die Cupsegelung gewinnt? Ich hab die Fritzi gleich für ein weiteres Segellager im Club angemeldet. Konkurrenz belebt.
Hiphop und Klassenbeswusstsein
Zum Abschluss die neueste Nummer von Kanye West. Er wurde ja letztens von einem Typen öffentlich beschimpft, nachdem er gesagt hatte: „400 years of slavery. Sounds like a choise.“ Der Typ im Publikum sagte sinngemäß: „Du bist mittlerweile reich und berühmt. Du musst dich nicht wie wir anderen mit dem Alltagsrassismus und Existenzkampf rumschlagen. Du bist nicht mehr einer von uns. Du verletzt meine Gefühle, wenn du über meine Lebensrealität drüberfährst.“ Soviel zu Klassenbewusstsein. Kanye West entschuldigte sich bei ihm. Er habe ihn nicht verletzen wollen. Er ist ja auch öffentlich damit rausgegangen, dass er Borderline und ADHD hat. Was vielleicht einen Teil seiner teilweise fragwürdigen Aussagen erklären könnte. Und auch seine neueste Nummer.