Ich war nie ein Fan von Pipi Langstrumpf. Die meisten glauben, dass ich sie super finde, weil ich Schwedin bin, aber so einfach ist das nicht. Das braucht euch nicht zu enttäuschen. ich will erklären, warum ich Pippi nicht brauche. Viele prominente SchwedInnen mögen Pipi nicht. Sie ist viel zu unreflektiert, dominant und ihre Allmachtsphantasien nerven. Wenn ich so ein massloses Kind wie Pippi Langstrumpf hätte, würde ich verzweifeln. Aber auf Tommy und Anika hat sie natürlich eine magische Wirkung. Die beiden verschreckt schüchternen, bieder aufgewachsenen Kinder, die kaum einen Ansatz einer eigenen Persönlichkeit haben, lieben und brauchen Pippi um ein wenig aus ihrer Angepasstheit herauszufinden. Und am Ende ist diese polternde egomanische Person einsam, vernachlässigt und alleingelassen. Nicht mal ihr Vater ist ihr eine Stütze. Und abends schaut sie zu den Sternen und trauert um ihre tote Mama. Das ist doch nicht lustig sondern tieftragisch! Trotzdem wird sie immer nur als verrückte mutige Heldin dargestellt.
Pippi Langstrumpf als Stellvertreterin für eigene unausgelebte Triebe
Ich habe in meiner Kindheit im Gegensatz zu Pippi Langstrumpf eingeimpft bekommen, dass man vernünftig sein aber auch Rücksicht auf andere nehmen und sich nicht immer ins Zentrum setzen soll. Aber im Gegensatz zu Anika und Tommy habe ich auch immer gesagt bekommen, dass Gehorsam an sich kein Wert ist und man jede Tradition in Frage stellen darf. Ob das gesellschaftliche Traditionen betrifft, wie die Kindestaufe oder dass Kinder Erwachsene immer zuerst grüßen müssen oder um innerfamiliäre Traditionen, wie übertrieben zu behaupten, dass Omas Sachertorte himmlisch ist, obwohl sie es gar nicht etc…Also, ich brauch Pippi nicht als Stellvertreterin. Ich hab mich schon als Kind ziemlich aufführen dürfen und meine Familie war auch immer etwas verrückt und ausgelassen – daher keine unausgelebte Sehnsucht nach Grenzüberschreitung.
Ich mag Lotta von der Krachmacherstrasse beispielsweise viel lieber, weil sie ein kleines willenstarkes Mädchen ist, dass schon alles können will und dabei oft gegen die Wand rennt, weil sie es eben doch noch nicht kann. Trotzdem gibt sie nicht auf, und ist dabei ganz schön autonom und steht die ganze Zeit in einer sehr starken sozialen Auseinandersetzung mit ihren älteren Geschwistern und Eltern. Wir brauchen so einen Blick auf kleine Mädchen. Sie müssen nicht immer lieb und süß sein, sondern oft beleidigt und frech, immer auf der Suche nach Herausforderungen. Warum ist Lotta so oft beleidigt? Weil sie ihre kindlichen Allmachtsphantasien nicht dauernd ausleben kann. Sie hat sehr viel Freiheiten, wird aber auch immer wieder begrenzt. Einerseits weil sie zu klein ist und nicht alles schafft was sie will und andererseits weil ihre Familie ihre Autonomiebestrebungen abstoppt, wenn nötig ist. Aber ihre lustigen Ideen und eigenartigen Gedanken findet die ganze Familie lustig und nett und man setzt sich damit auseinnder. Abends kuschelt sie sich in ihr Bett und ist zufrieden und geborgen.
3 Kommentare
Hallo Patrice! Dein Blogeintrag hat mich berührt, bei mir war das so: ich habe die Pipi eher gemocht. Ich konnte etwas anfangen mit der Sehnsucht nach dem nicht vorhandenen lustigen, mutigen, starken Vater, denn bei mir war dieser Vater auch abwesend, nur ein herrschsüchtiger und gemeiner war da. Ich hatte auch diesen großen Wunsch, dass dieser liebe Papa irgendwann kommt, der mir geholfen hat, das alles auszuhalten. Was Pipi sonst gemacht hat, hätte ich mich nie getraut, ich hatte auch manchmal ein bissl Angst vor ihr. Die Lotta und die Kinder aus Bullerbü habe ich extrem beneidet. SO hätte ich es gern gehabt – wer nicht! Das finde ich so toll an Astrid Lindgrens vielen unterschiedlichen Figuren: für jedes Kind in jeder Lage ist jemand dabei, der unterstützt, Hoffnung macht, Identifikationsfigur ist. Liebe Grüße, Christina
Ich hatte gar nicht so sehr den bezug zu Pippi, obwohl ich die auch mochte, aber Madita, die war meine APSELUTE heldin!! Ich hab das buch sicher zehn mal gelesen, in jedem urlaub hab ich mir vorgestellt ich wär sie und überhaupt. girl crush 🙂
Madita, oder „Madicken“ wie sie auf Schwedisch heißt, war auch meine Favoritin. Ich mochte sie, weil auch so störrisch, stur und eigen war. Ein wenig Outlaw in der eigenen Familie aber trotzdem geliebt und nicht ausgeschlossen. Dafür ist Astrid Lindgren Spezialistin: Individuen innerhalb eines Verbandes individuel sein lassen können, ohne dass die Gruppe das nicht aushält. Aber Madicken war schon sehr bürgerlich und ihre Einsichten in die Welt der Armen berührend aber auch etwas großmütig. Bei der Krachmacherstraße sind alle Mittelstand. Das wirkt beruhigend auf mich. Die Kinder aus Büllerbü lebten auf einer Insel der Seligen. Da wollte ich auch hin. Wo Eltern kaum eine Rolle spielen und die Kinder ihr eigenes Leben miteinander führen. Ich glaub, als Kind hätt ich in einem Kibbuz aufwachsen müssen. Da wär ich sehr glücklich gewesen.