Woran merkt man, dass in Österreich noch ein Stück Nationalsozialismus schlummert?
Ich meine jetzt nicht politisch. Ja, die FPÖ ist rechts und hat viele WählerInnen, und viele Menschen sind ausländerfeindlich und viele Menschen sind antisemitisch (auch „linke“ Menschen). Das ist eh klar, aber woran merkt man es psychologisch? Ganz profan?
Was braucht es zum Nazisein?
Am übersteigerten Ego. Das ist der psychologische Kern des Nationalsozialismus. Unempathisch sein gegenüber den Bedürfnissen der anderen und übermässig interessiert sein, an der Erfüllung der eigenen Bedürfnisse. Der eigene Vorteil steht immer im Vordergrund und lässt dich rücksichtslos handeln.
Erzählt mir ein Freund, dass seine Oma gesagt hat, dass ALLE wussten, dass die Juden weggeführt werden und nicht mehr wiederkommen, weil sie in den Lagern sterben. Es war kein Geheimnis.
Wenn eine Familie abgeholt wurde, konnte man in deren Wohnung rübergehen und sich Bettwäsche und Hausrat holen. Fast alle haben sich geholt, was sie brauchen konnten oder haben wollten. Mein Freund sagt, dass seine Oma ein Vorbild ist, weil sie das offen zugegeben hat. Und nicht wie die anderen behauptete, dass niemand von den KZ´s wusste.
Natürlich ist es besser offen zu reden, aber nicht gut genug.
Weil? Ich möchte ausholen.
„Wie hätte ich mich damals verhalten?“
Denken wir an die ganzen Leute, die meinen: „Wer weiß, wie ich mich in der damaligen Zeit verhalten hätte?“ Ich habe diesen Satz nie verstanden. Was bedeutet er im Kern? Dass das Verhalten der Mitläufer und Eiferer eigentlich menschlich ist? Irgendwie nachvollziehbar?
In der Art: „Hätte jeder so gemacht?“ Wer diese Meinung teilt sollte an seiner moralischen Haltung arbeiten.
Wie hätte man sich verhalten sollen?
Worauf ich hinaus will: Damals waren nicht alle im Widerstand oder haben Menschen versteckt, aber viele haben sehr wohl Mitleid empfunden, haben vermieden Menschen zu erniedrigen, oder haben zumindest ab einen gewissen Punkt verstanden, dass es hier nicht nur um Arbeitsplätze und Patriotismus geht, sondern um ein politische Bewegung, die einen destruktiven menschenfeindlichen Plan hat. Ab diesem Zeitpunkt wünschten sie sich Hitlers Niederlage und haben kritisch hinterfragt, dass sie nicht gleich verstanden haben, wohin das ganze führt. Diese Haltung war eine normale menschliche Reaktionen, und sie verlangt nicht nach Heldentum. Der Anspruch an seinem selbst sollte sein, zu diesen Menschen zu gehören. Diese Menschen hat es auch unterm Nationalsozialismus gegeben. Und nicht wenig.
Die Oma einer Freundin von mir erzählte uns einmal, wie sie vor dem Stafa auf der Mariahilfer Straße stand. Die Leute stürmten das Kaufhaus und plünderten und zerstörten was ging, damit die „Besatzer“ (also die Befreier) möglichst wenig in die Finger bekommen sollten. Horde strömten das Gebäude. Ihr ist das Bild für immer stark in Erinnerung geblieben. Selbst lief sie nicht hinein. Nicht weil sie reich war. Als ehemaliges Pflegekind arbeitete sie ihr Leben lang als Putzfrau. Sie hat ihr Leben lang keine Heldentaten vollbracht. Aber an den Plünderungen nahm sie nicht teil. Sie empfand diese als verstörend. Eine rein menschliche Reaktion. Und zu dieser rein menschlichen Reaktion soll die Mehrzahl der ÖsterreicherInnen nicht in der Lage gewesen sein?
Und auch die Kinder und Enkelkinder stellen an sich nicht den Anspruch menschlich zu reagieren, wenn sich die Geschichte wiederholen sollte?
Wenn wir nicht spüren, dass wir einen Fehler machen, können wir ihn auch nicht einsehen
Ich frage mich: Wenn ich schon zu denen gehöre, die die sich Bettwäsche und Hausrat von Ermordeten unterm Nagel reiße, und das auch frei raus erzähle, warum ist es dann so schwer ein Schritt weiter zu gehen und zu sagen: „Das war nicht ok. Das alles war nicht ok.“
Auch wenn mich vielleicht die Not getrieben hat, muss es belastend sein, mir Sachen von Nachbarn zu nehmen, die deportiert und ermordet wurden. Oder nicht?
Wer nicht in der Lage ist, sich Gewissensfragen zu stellen, wenn man vom Mord an Menschen profitiert, ist gestört. Psychisch gestört. Wer sagt: „Was solls? Ich hab die ja nicht selbst deportiert und ich habe selbst nicht gemordet. Und warum sollte ich jetzt nicht die Bettwäsche nehmen, wenn sie sonst keiner braucht?“ verhält sich pathologisch.
Und die Nationalsozialisten konnte sich nur durchsetzen, weil es genügend Menschen gab, die sich durch ein klein wenig Profit emotional korrumpieren ließen. Sie hatten keine Gewissensbisse, weil sie das Unrechte nicht spürten.
Wer also fähig ist Mitgefühl zu empfinden, wer in der Lage ist, sich Reue zu zeigen, auf einen Vorteil zu verzichten, der zwar verfügbar, aber eigentlich jemanden anderen zusteht, der hätte sich auch unter Hitler nicht wie ein Nazi gefühlt.
Die Nazi-DNA hat bis heute überlebt
Wien ist nicht als besonders freundliche Stadt bekannt. Wer hier lebt, muss braucht eine dicke Haut. Vor 30 Jahren war es noch schlimmer. Vor allem wir Kinder wurden regelmässig auf der Straße geschimpft und oftmals mit Gehstöcken bedroht. Heute gibts das kaum mehr. Aber unfreundliche Menschen gibts auch heute.
In der Schlange stehen und darauf warten, dass man an der Reihe ist – Ein Kunststück, dass die Fähigkeit vieler überstrapaziert. Vordrängen ist akzeptiertes Sozialverhalten: „Wem das gelingt, der hat´s sich´s verdient“.
Kinder werden in Schlangen übergangen. Denn: Wer nicht auf sich aufmerksam machen kann, darf auch übergangen werden.
Ich kann man mich noch gut daran erinnern, wie meine Mutter Menschen zur Rede gestellt hat, der mich oder ein anderes Kind in der Schlange einfach überholt hat, als würde man nicht zählen. Gleichzeitig hat sie von mir eingefordert, dass ich mich laut beschwere, wenn sich ein Erwachsener vordrängt.
Wer unempathisch ist, merkt es nicht
Noch ein banales Beispiel: Bei den Aufzügen in der U-Bahn stehen immer ein paar Eltern mit Kinderwägen, ein paar ältere Menschen und ein paar gesunde Menschen mittleren Alters. Wenn nicht alle Menschen in den Aufzug passen, lassen die Wartenden selten denen den Vortritt, die den Aufzug am meisten brauchen. Und dass, obwohl die Wiener Linien auf jeden Aufzug Kleber picken, dass die Aufzüge allen voran für Gehbehinderte, alte Menschen und KinderwagenfahrerInnen da sind. Es ist also die Regel, dass diese Menschen den Vortritt haben. Aber diese Regel ist eben nicht die Regel. Schon der Verzicht auf banalste Vorteile fällt vielen unglaublich schwer.
Neue Erziehung
Das einzige Gegenmittel ist die Erziehung der Kinder zu sozialen Menschen. Sie brauchen wahre Empathie und man muss ihnen beibringen, dass der Verzicht auf Vorteile und das Einhalten sozialer Regel verkraftbar sind und einen zu einem starken Menschen machen.
Eine Freundin erzählt mir oft von einem anderen Kind im Kindergarten, das ihr Kind manchmal schlägt. Die Mutter des Kindes steht daneben und sagt nichts. Sie mag die Mutter eigentlich, aber dieses Verhalten versteht sie nicht. Warum greift sie nicht ein? Alle Kinder hauen mal hin. Das wissen wir alle und das ist nicht weiter schlimm, aber das bedeutet nicht, dass darauf keine Reaktion folgen soll. Tadeln und eine Entschuldigung einfordern. Wenn das Kind das nicht will, wird darauf bestanden bis es die Entschuldigung über die Lippen bringt. Vielleicht kommt es erst am nächsten Tag. Vor allem das erste Mal Entschuldigung sagen, fällt einem Kind schwer. Danach merkt es, dass es gar nicht so weh tut und danach eine Erleichterung einsetzt. Diese Kompetenz hält danach ein Leben lang.
Unsere Kinder sollen auch lernen, dass sie mühsame Aufgaben selber erledigen müssen und nicht die Eltern alles für sie tun, und dass das im Endeffekt auch ein gutes Gefühl erzeugt. Sie sollen einen freien Geist entwickeln, der es ihnen erlaubt sich eine eigene Meinungen zu bilden und nicht nachzuplappern, was die Eltern denken. Kinder müssen natürlich auch zu uns Eltern sozial sein und Rücksicht nehmen, aber das darf man nicht mit Gehorsam verwechseln. Da verläuft eine wichtige Grenze.
Wenn der Österreicher und Kinderpädagoge Alfred Adler nicht aus Österreich vertrieben und heute in Vergessenheit geraten wäre, hätten wir vielleicht mehr Mitmenschen in Österreich. Sein Anliegen war es Kinder zu mutigen und selbstständigen Mitmenschen zu erziehen, die sozial handeln und durch ihren Gemeinschaftssinn auch Lebenssinn erfahren. Er war der festen Überzeugung, dass wir Glück nie durch Egoismus erleben, sondern nur wenn wir auch für andere da sind.
Ich habe diesen Blogbeitrag verfasst, weil ich nicht glaube, dass es reicht gegen die FPÖ zu polemisieren um ein besseres Österreich zu schaffen. Es sind nicht nur die anderen die schlecht sind. Wir sind nicht die Guten. So funktioniert nicht die Psychologie der Politik. Wir müssen auch uns selber kritisch beäugen und an uns arbeiten. Wie oft sagen wir Entschuldigung, wie oft verzichten wir auf einen Vorteil? Sind wir roh oder spüren wir, wenn Unrechtes passiert?
17 Kommentare
noch einmal bravo! da hast du so viele gute gedanken reingepackt!
diese lift-situation in den ubahnen macht mich zeitweise so unrund – die gesunden/starken/kinderwagenlosen springen direkt aus der ubahn und laufen hin zum lift um nur ja schneller dort zu sein als die, die ihn wirklich brauchen (und die ja gleichzeitig mit kinderwagen, gehstock u.ä. langsamer sind) – so grauslich! und dann stehen sie im lift und schauen wie blöde schafe raus auf jene, also könnten sie ja nix dafür, dass sie leider schneller waren und jetzt schon drinnen stehen. 🙁
ganz schlechte kinderstube.
sehr gute und humorvolle beschreibung! „Ich war halt zuerst da.“ Aber warum wohl?
Arno Grün argumentiert übrigens in seinem neuen Buch in die gleiche Richtung. Ohne Empathie keine Demokratie. Spannend.
https://de.wikipedia.org/wiki/Das_radikal_B%C3%B6se_(Film)
das Sehen dieses Filmes kann ich nur empfehlen
So sehe ich das eigentlich auch.
logo!! weil du psychologin bist 🙂
OK, dann ernst. Ich kenne die 2WW Generation sehr gut, weil ich in einige Pflegehemen als Krankenpfleger tätig war. Eine kurze Zeit war ich auch in Maimonides Zentrum in Wien tätig.
Habe viele schreckliche stories gehört usw usw usw… Viele Wehrmacht Soldaten kennengelernt, und auch dessen Frauen, die zu Hause warteten. Da kann ich ein Buch darüber schreiben…usw…usw
Das Einzige, das ich mitgenommen habe, ist eine Aussage einer Auschwitz gefangenen (geburtige Wiener). Er sagte (nach dem krieg): Es gibt 2 arten (rassen) vom Menschen. Anständige und Unanständige. – Viktor Frankl –
Ivan, was sagst du zu meinen Text?
Extrahypernormal
Worüber wird hier diskutiert? Ich verstehe euch überhaupt nicht? Weil ich normal bin muss ich euch fragen: seid Ihr schon bipolar geworden?
Was ich meinte: in österreich beruft man sich auf die unrühmliche vergangenheit, nur, die leute sind überall gleich, einmal mit grantln, einmal mit fluchen, einmal mit nem lächeln. Du hast überall arschlöcher, jedes land hat ne unrühmliche zeit gehabt. Aber sonst geb ich dir recht: wenn man soweit ist, es zu merken, sollte man sich im alltag mitmenschlich verhalten und das auch von anderen einfordern.
Erziehung sieht in unterschiedlichen Ländern unterschiedlich aus und produziert unterschiedliche Stimmungen. Die Leut sind nicht überall gleich. Und wie ich schon geschrieben habe, in Österreich waren nicht alle nazis. Viele haben ganz normale menschliche Reaktionen auf die Unmenschlichkeit der nazis entwickelt. Das heißt es gab keine unempathische Hegemonie. Warum konnten manche emotional stimmig empfinden und andere blieben unberührt und freuten sich über die neuen Vorteile, die aus der Vertreibung erwuchsen? Und natürlich sollten wir uns auch heute fragen ob wir richtig handeln, auf der Straße eingreifen wenn wer gemobbt, geschlagen wird etc. Zumindest sollten wir die richtigen Gefühle entwickeln wenn wir zeugInnen werden oder unsere Kinder Fehler begehen.
Jaja, in österreich sans so böse. Geh ins ausland, da gibts gaaanz andere leut!
Nein, die leut sind immer die selben. Einmal nennt mans nazis, dann genossen, oder idioten. Leute werden nicht so geboren, sondern dazu erzogen. Empatie wird bestraft und weggezwungen.
Die frage, wie hätt ich mich damals verhalten, istvor allem die frage, ob man jrmals auf die idee kommt, dass irgendetwas nicht in ordnung ist, wenn mans gar nicht anders kennt. Wer weiss, irgendwann werden wir von unseren enkerln gefragt, wie wir x zulassen konnten. Und heute heute kommen wir nicht mal auf die idee, es anders zu denken.
Danke Patrice!
Bei den Aufzügen in der U-Bahn stehen immer ein paar Eltern mit Kinderwägen, ein paar ältere Menschen und ein paar gesunde Menschen mittleren Alters. Wenn nicht alle Menschen in den Aufzug passen, kommen diese NIE auf die Idee denen den Vortritt zu lassen, die den Aufzug brauchen. “ manche spezialisten muss man sogar auf das kinderwagenzeichen im waggon aufmerksam machen, damit sie weggehen, wenn frau/mann mit kinderwagen kommt
Ich finde es schon ziemlich eigenartig, dass man, wenn man aus einem guten Text zitiert ohne das kenntlich zu machen, mehr „Likes“ bekommt als für den Text selbst.
GROSS-ARTIG!