Für alle ÖsterreicherInnen, deren Großeltern oder Urgroßeltern Nazis waren! Eure Groß- oder Urgroßeltern waren keine herausragend gute Menschen. Das ist ein Faktum und ein hartes Los für euch. Es ist nicht leicht die eigenen Eltern oder Ahnen zu kritisieren und es ist nicht leicht eine positive Identität aufzubauen, wenn die eigenen Leute nicht ausgesprochen nette Menschen waren. Fast automatisch fängt an sie sie schön zu reden und zu entschuldigen. Nicht dass sie ausgewiesene Unmenschen gewesen sind müssen (obwohl manche das schon waren), aber wenn man herzlos zusieht, wie die Nachbarn deportiert werden, wenn man extra in der Früh aufsteht um rechtzeitig am Heldenplatz zu sein, um Hitler zujubeln zu können, der dem Volk sagt, es sei das Einzige und das Beste und alle anderen Menschen wertlos, dann ist man kein guter Mensch. Auch wenn man gleichzeitig andere Qualitäten hat. Alle Menschen haben viele Seiten. Aber gut ist nur wer gut ist und also gutes tut.
Aber in der Volksmeinung herrscht immer noch vor: Wir hatten Angst, wir konnten nicht anders, jeder hätte damals so gehandelt, man konnte nichts tun…
In your face – Nazis!
Natürlich konnte man. Erwin Ringel hat sich zum Beispiel den Nazis widersetzt und musste als Strafe am Hof tagelang auf und ab gehen (er wurde aber nicht ins Konzentrationslager deportiert oder erschossen!), andere haben den Lagerheftlingen Brot zugesteckt, oder geschaut sich nicht in der ersten Reihe aufzuhalten. Und wieder andere haben 696 Kinder vor der Vergasung gerettet.
Zum Beispiel Nicholas Winton. Er kam 1938 nach Prag und verstand, dass es für viele hier um Leben und Tod ging. Der hauptberufliche Broker ging zurück nach England wo er auf Basis des „Refugee Children Movement“, das die Einreise von Flüchtlingen unter 17 Jahren erlaubte, Kindertransporte nach England organisierte. Er sammelte Spenden, um Visa für die Kinder bezahlen zu können und suchte für alle Kinder Adoptiveltern. Ein Transport nach dem anderen kam nach England und die Kinder konnten so dem Tod entgehen. Der letzte Zug sollte 1939 abfahren, konnte aber durch die politische Zuspitzung den Bahnhof nicht mehr verlassen.
Wenn man zu den 696 Kindern auch noch deren Kinder und Enkel dazuzählt, hat er ca. 6000 Menschen gerettet. Und er sagt, was sehr bedeutend ist, dass es auch ihm selber sein ganzes Leben lang ein gutes Gefühl gegeben hat, diese Kinder gerettet zu haben. Das habe einen immens positiven Impact auf sein Lebensgefühl gehabt.
Wie altern Nazis von früher eigentlich? Wenn es ihnen gar nicht leidtut, wie sie gelebt haben, müssen sie ihr reales Ich verdrängen und sich narzisstisch überhöhen. Mit Selbstbetrug und Egoismus zu altern, ist sicher nicht angenehm.
Nicholas Winton ist übrigens heute 106 Jahre alt und noch glasklar im Kopf.
Nicholas Winton wird überrascht
Winton hat nach dem Krieg nicht mehr über diese Rettungsaktionen gesprochen. Nicht einmal seiner Frau erzählte er davon. Sie fand eines Tages eine Mappe am Dachboden. Darin waren die Namen und Fotos aller Kinder gesammelt und auch Briefe und andere Dokumente. Als sie erfuhr, was es damit auf sich hatte, meldete sie ihren Mann ohne sein Wissen zu einer Talkshow an. Dort hatte man ein Kind von damals ausfindig gemacht und überraschte ihn mit ihr.
Sie hatte endlich die Chance sich zu bedanken. Die meisten Kinder wussten selber nicht, warum sie überlebt hatten. Sie hatten immer geglaubt, das rote Kreuz hätte die Transporte organisiert.
Hier kann man diesen Moment miterleben und noch mehr…
Für jeden Alltags-Nazi von damals, der oder die meint, dass die Alltags-Nazis mehr Verständnis verdient hätten und gar nicht anders konnten als Alltags-Nazis zu sein, ist Nicholas Winton ein Schlag ins Gesicht.
Wie wird man gut, wenn man Nazi-Großeltern hat?
Was macht das mit einem? Wir sind alle Individuen, natürlich. Aber trotzdem ergreifen wahnsinnig viele Menschen den selben Beruf wie ihre Eltern. Trotzdem kopieren wir das Leben unserer Eltern in vielerlei Hinsicht. Trotzdem geben Nazi-Großeltern emotional was weiter an ihre Kinder und Enkel – und sei es das unsichere Gefühl von: „Hätte ich damals vielleicht genauso gehandelt?“.
Und genau deswegen ist Nicholas Winton so wichtig! Er führt uns vor Augen, dass wir gut sein können, aber dafür auch was tun müssen. Wie er sagt: „Wer ein guter Mensch sein will, muss auch was gutes tun.“ Es reicht also nicht sich ein `Je suis Charlie`Schild umzuhängen. Man wird dadurch nicht zu einem der CartoonistInnen, die durch ihr Tun das Leben verliert haben. Das ist eine rein theoretische Solidarisierung. Durch diese Solidarisierung hat man im Realen längst noch nichts getan.
Wer Nazi-Großeltern hat, sollte sich ganz bewusst die Frage stellen: Was kann ich tun, damit ich die Welt verbessere? Damit ich für andere da bin? Damit ich nicht nur an meine eigene Haut denke und an meinen Vorteil, sondern lerne ein sozialer Mensch zu sein?
(Aber nicht so wie die RAF, die ihre Eltern kritisierten und dann Israel bekämpften und gar nicht merkten, wie ähnlich sie politisch ihren Eltern waren.)
Was kann man für andere Menschen tun?
– Ein Pflegekind aufnehmen und gleichzeitig in Therapie gehen, damit man reflektiert und gut mit dieser Aufgabe umgehen kann.
– Statt Urlaub zu nehmen, als freiwilliger Helfer in eine Krisenregion fahren.
– Als BegleiterIn in einem Hospiz Menschen besuchen.
– Familien mit behinderten Kindern aus der Umgebung Dienste abnehmen.
– Prinzipiell alten Menschen und kleinen Kindern in der Strassenbahn den Platz überlassen.
– Nicht bloß zuschauen, wenn auf der Strasse Ungerechtigkeiten passieren.
– Menschen aus dem Bekanntenkreis bei Behördengängen helfen, die das selber nicht gut hinkriegen.
– Man kann einen Menschen mit Behinderung anstellen.
– Man kann Mentor für ein unbegleiteten Flüchtlingskind werden. Nachhilfe geben, Freizeit verbringen, Geburtstagsgeschenke, Sorgen anhören und Ratschläge geben. Damit diese einsamen Kinder zumindest eine erwachsene Bezugsperson bekommen, die sich hier um sie scheren.
– Man kann auf einen Vorteil verzichten, weil man weiß, dass jemand anderer es sich mehr verdient hat…
Man braucht sich nur umsehen. Es gibt viele Möglichkeiten sich als ein sozialer Mensch zu beweisen und konstruktive Hilfe anzubieten. Das kostet etwas Zeit kostet, ein wenig Energie und ein offenes Ohr dafür, wie es den anderen geht.