`Lauter Einser‘ in der Schule – das war schon etwas womit Eltern in den 80ern vor der Verwandtschaft posen konnten. Waren die Sprösslinge jedoch Nachzipfkandidaten, wurde die eigene Erziehungskompetenz schmerzlich hinterfragt.
Mittlerweile hat das österreichische Schulsystem aber schon einen so schlechten Ruf, dass miese Noten gesellschaftlich viel akzeptierter sind als früher. Aber es hat sich auch unser Wertesystem verändert. Wir protzen nicht mehr damit, dass unsere Kinder tüchtig, höflich und ordentlich sind. MusterschülerInnen erhöhen heute nicht den sozialen Elternstatus.
Vielmehr sollen unsere Kinder heute vor allem eins sein: Individuell. Sie selbst sein. Einen eigenen Ausdruck finden. Nicht durchschnittlich sein.
Gemeinsam individuell sein
Accessoires sollen helfen, die Individualität unserer Kleinsten zu unterstreichen. Es geht dabei um Waren, die als `alternativ‘ oder `smart‘ gelten. Eines der erfolgreichsten Brandings der letzten Jahre war natürlich der Bugaboo-Kinderwagen. Schon Dreijährige nennen ihn beim Markennamen. Es wurden auch schon in Foren `glückliche Bugaboofahrer‘- Gruppen gebildet. Nach dem Motto: Lasst uns gemeinsam individuell sein!
Obwohl er bereits die Stadt invadiert hat und alle sozialen Schichten anspricht, fühlen sich heute Eltern ausgesprochen individuell, wenn sie den kompakten Wagen mit den Schwenkrädern kaufen. Witzigerweise kommt das Wort Bugaboo aus dem Holländischen und bedeutet: „Glücklich und getäuscht“.
Individuell sein ist nämlich gar nicht so einfach. Am liebsten wäre man ja gerne so individuell wie möglich und gleichzeitig so akzeptiert von allen wie nur möglich.
Protzen mit Macadamianüssen
Befreundete Mütter am Spielplatz begeistern sich gegenseitig mit Geschichten über die Eigenarten ihrer Sprösslinge.
„Unsere Leonie will absolut keine Chips essen. Für sie gibt es nur Makadamienüsse. Ich sage dir, die sind gar nicht leicht zu kriegen. Aber was soll man tun? Sie liebt sie einfach.“ Oder: „Mein Lion will nicht Fußball spielen. Nein, er will jetzt unbedingt mit Wasserpolo beginnen. Ich habe keine Ahnung, woher er das hat! Aber er hat immer ganz genau gewusst, was er wollte. Er war immer so ein spezielles Persönchen.“
In unserer Kindheit in den 80ern gab es das nicht. Familien hatten damals mehr Kinder und daher konnten nicht so hohe Geldsummen in die Individualität jedes einzelnen Kindes investieren.
Wir mussten essen, was auf den Tisch kam und was kinderrelatierte Produkte anging, gab es kaum Auswahl. Auch unsere besonderen Vorlieben zählten nicht. Wenn wir den Wunsch geäußert hätten Samstagabend zu „Einer wird gewinnen“ statt Chips oder Soletti, Makadaminüsse zu knabbern, hätten unsere Eltern das wahrscheinlich verständnislos als Extrawürstel abgetan.
Wenn kleine Nervensägen zu Genies überhöht werden
Wir erziehen unsere Kinder heute viel liberaler. Sie haben viel mehr Spiel- und Experiemtierfreiraum. Aber wir scheinen auch durch sie die Enge unserer eigenen Kindheit zu kompensieren. In jeder Ãußerung oder Neigung unserer Kleinen sehen wir vorauseilend ihre „Individualiät“ aufblitzen. Und wir sind bereit ganz schön viel Mehrarbeit in Kauf zu nehmen, um zu fördern, was vielleicht nur eine kindliche Marotte ist. Es werden Instrumente und Sportausrüstungen eingekauft und Kurse belegt. Es werden unter Umständen nervende Seiten am Kind nicht als solche reflektiert sondern statt dessen durch uns verstärkt, weil „der Julian wird sicher mal Politker. Er liebt es, große Reden zu halten!“ Oder: „Lucia ist so künstlerisch veranlagt. Letzte Woche hat sie meinen Laptop mit Nagellack bemalt.“
Schoko für fortgeschrittene Superduper-IndividualistInnen
Problematisch wird es, wenn zum Beispiel Teilleistungsschwächen nicht mehr als solche erkannt werden. Legasthenische Nicht-Rechtschreibung wird als „kreatives Querdenken“ interpretiert. Oder man spielt die Lernschwächen herab, indem man meint, das Kind sei eben eher musisch veranlagt. Dabei hätte es mit Hilfe von Dyslexie-Förderung die Chance wieder Spass am Matheunterricht zu finden.
Wer voreilig geniale, extravagante Züge an seinem Kind entdeckt, könnte sich die Frage stellen: Ist es wichtig für mich, dass mein Kind speziell und einzigartig ist? Würde ich es auch lieben, wenn es ganz durchschnittlich ist?
Jedes Kind ist natürlich einzigartig, aber die Einzigartigkeit ist nicht imer plakativ, sondern kommt oft sehr subtil daher. Wir brauchen einen feinen Blick, um die Eigenart anderer Menschen zu lesen. Wenn wir in unsere Kinder Eigenarten hineininterpretieren, die wir uns innerlich wünschen, liegt der Verdacht nahe, dass wir ihre wahren Persönlichkeiten nicht erkennen können.
Zurück zum nervenden Schreihals von Sohn, der einmal Politiker werden soll. Vielleicht schreit er, weil seine Eltern nie richtig hinhören, wenn er was sagt und was adäquates antworten? Was „Adäquates“ bedeutet eine ernstgemeinte Reflexion auf seine Aussagen. Keine vorprogrammierten Freundlichkeiten. Das können bestärkende, erklärende, tadelnde oder moralisierende Aussagen sein. Je nach dem, was von ihm kommt. Wenn von den Eltern zu wenig kommt, nimmt sich der Bub so viel Raum, bis er Aufmerksamkeit bekommt. Das bedeutet Stress. Für alle. Auch für Freunde und Freundinnen von Eltern und Sohn. Wenn der Kleine besser reflektiert würde, könnte er auch seine Aufmerksamkeit stärker auf Dinge lenken, die ihn wirklich interessieren und seine Persönlichkeit feinschleifen. Und das ist eine interessantere Reise, als von den Eltern als Genie abgestempelt zu werden, weil man etwas Ungewöhnliches sagt oder eigenwillig ist.
Früher machten unsere Eltern wegen der Schulnoten großen Druck auf uns. Doch auch der Wunsch ein besonders, individuelles Kind heranwachsen zu sehen, lässt Erwartungsdruck entstehen. Der beste Weg ein selbstbestimmtes Kind heranzuziehen, ist wahrscheinlich an unserer eigenen Individualität zu arbeiten.
3 Kommentare
hab mir heute macadamianüsse gekauft und freu mich auf dancing stars. ich kann verstehen, dass man drauf abfährt.
dass jeder elternteil mittlerweile glaubt, sein kind ist wtas ganz besonderes und MÜSSE doch irgendein talent haben, irgendwie auch.man schaue nur in der überangebot dsbzgl ratgeberliteratur
Ich hab auch eine Freundin, die immer geglaubt hat ihr Sohn sei eben ein musischer Typ, weil er so spät erst sprechen gelernt hat. Erst mit 6 hat sie ihn testen lassen. Da kam raus, dass er entwicklungsverzögert ist und dass man ihm mit Frühförderung viel hätte ersparen können. Jetzt muss sich alles nachholen und rennt von einem Spezialisten zum anderen. Ein Instrument spielt er ürbigens bis heute nicht. Seine Lieblingsband ist Lady Gaga und seine Mutter haßt Lady Gaga.
Manchmal wird auch schlicht indidualismus genannt, was purer Egoismus ist, denn es geht fast immer nur um die Entfaltung des eigenen kindes und damit um die Befreiung des kindes in einem selbst und das macht das eigene Kind viel unfreie, abhängiger als jedes noch so starre schulsystem. Früher gings darum, dass der Sohn den Betrieb übernimmt, heute sollen die kleinen, die eigenen Wunden und nicht uberstandenen unterdrueckungen durch ubergrossen Mut und Begabung wieder gut machen. So ist diese übergeförderte individualitat in Wahrheit nur der vermiedene Blick in den Spiegel, was einen selbst schmerzte, muß für das Kind gar kein Problem sein und der Satz, sei nicht so egoistisch, ist zwar hart, aber wir sind älle individuen auf diesem Planeten, nicht besser nicht schlechter anders und Respekt, ich stehe auf respekt…