Kinderpsychiaterin Dr. Christine Koska über die etwas expliziteren Probleme der Erziehung:
– Kinder wachsen nicht nur in der Größe, sie verändern sich als Person pausenlos. Ein vierjähriger hat auf jedem Fall ein anderes Wesen als ein 12 jähriger. Wie kann man sich darauf einstellen?
Ich denke, man muss immer auf Ãœberraschungen gefasst sein. Man hat als Eltern auf vieles Einfluss, aber nicht auf alles. Und man muss darauf gefasst sein, dass es immer wieder und vor allem in der Pubertät zu Streiterein kommen wird, weil sich die Kinder von uns abgrenzen müssen. Ohne Auseinandersetzung gibt es keine Ablösung.
– Ist es also eher verdächtig, wenn es nie zu Streitereien kommt?
Ein gewisses Maß an Konfrontationen ist notwendig. Es muss nicht gleich eskalieren, aber wenn die Kinder immer tun was die Eltern wollen, oder umgekehrt, die Eltern immer tun was die Kinder wollen, ist keine Auseinandersetzung und somit keine Entwicklungmöglich. Eltern müssen Grenzen setzen einerseits und andererseits ist es aber auch klar, dass Kinder nicht immer gewillt sind diese Grenzen zu akzeptieren.
– Auf welche körperlichen Entwcklungsschritte kann man sich als Eltern rund ums „Teenagerwerden“ einstellen?
Sicher rückt die Beschäftigung mit der Veränderung im eigenen Körper immer mehr in den Vordergrund. Uns muss aber klar sein, dass die körperliche und die psychische Reifung nicht immer miteinander Schritt halten. Sie sehen schon aus wie kleine Erwachsene, sind psychisch aber noch Kinder. Manche Kinder überfordert diese Veränderung sogar. Mädchen versuchen dann z.B. weite Leiberl zu tragen.
– Wie kann man Mädchen und Buben darauf vorbereiten, dass sie bald anders aussehen werden?
Man spricht ja immer wieder vorher darüber. Das Kind weiß, wie die Eltern ausschauen und damit kommt die Veränderung nicht so unerwartet. In der zweiten oder ditten Klasse haben sie übrigens Aufklärungesunterricht. Das ist ein großer Fortschritt. Man ist heute relativ offen. Man kann also davon ausgehen, dass die VolksschülerInnen schon ziemlich gut Bescheid wissen.
– Inwiefern sollen wir Eltern Aufklärung betreiben?
Man kann solche Themen immer wieder mal ansprechen und schauen wie weit sie sich überhaupt auf ein Gespräch einlassen wollen. Wenn sie nicht wollen, gibt man ihnen einfach mehr Zeit. Es ist aber nicht undedingt empfohlen, solche Gespräche sehr betont zu führen, in der Art: `Wir müssen reden.‘ Lieber locker zwischendurch. Einfach in den Alltag einbauen und nicht zu detalliert.
– Was bedeutet, nicht zu detalliert?
Kinder wissen selber wann genug ist. Wenn noch nicht genug ist, fragen sie nach. Aber man muss immer darauf horchen wie weit sie tatsächlich sind. Wenn man kleine Kinder mit anatomischen Details konfrontiert, kann auch das eine Ãœberforderung bewirken.
– Kleine Mädchen können dann auch Ängste entwickeln und zb. keine Kinder mehr haben wollen, oder?
Ja, man muss sich an die Wahrheit halten, aber in einer Art und Weise, die für Kinder verträglich ist. Ein Bub, den ich kannte, hatte bei Universum gesehen, wie der Sexualakt funktioniert. Bei den Menschen aber, dachte er, ginge man dazu ins Krankenhaus. Man musste ihm dann natürlich erklären, dass Sex nicht etwas Steriles, Krankes ist, sondern was Angenehmes. Eben immer in Worten und Gedankenbildern, die für das Alter adäquat sind.
– Wenn man erfährt dass das Kind von irgendwoher Pornos zum Schauen bekommen hat was soll man da tun?
Es ist sehr wichtig, dazu Stellung zu beziehen, weil sie sind von dem was sie gesehen haben total überfordert. Und man muss es abstellen. In diesem Alter ist es klar dass die Eltern den Medienkonsum der Kinder einschränken müssen. Im Gespräch erklärt man dann den Kindern, dass das was sie gesehen haben, nichts mit echten Sex zu tun hat und dass es natürlich Menschen gibt, die sich das anschauen, aber es gibt auch andere Menschen mit ganz anderen komischen Vorlieben. Außerdem muss man die Gefühle ansprechen, die das Kind dabei gehabt hat: Angst, Ekel, oder ist es dem Kind gleichzeitig auch ein wenig toll vorgekommen? Sowas wirkt entlastend. Die Kinder brauchen dann kein Schuldgefühl zu haben.
– Wenn man in einem Familienverbund zusammenlebt, bekommt man viel vom anderen mit. Wo zieht man die Grenzen?
Wenn Kleinkinder im Schlafzimmer der Eltern schlafen, hat man keinen Sex, wenn sie munter sind. Ganz einfach. Das überfordert die Kinder. Sie können sich nicht erklären, was da vor sich geht.
– Und nackig vor den Kindern herumlaufen – ist das ok?
Wenn das Teil der Familienkultur ist, ist das für kleine Kinder kein Problem. Ab dem Alter wo die Kinder anfangen selber gschamig zu sein, wollen sie meist auch den Anblick der nackten Eltern nicht mehr sehen. Es ist unterschiedlich, aber den meisten ist es unangenehm. Es hilft dann auch nichts zu sagen: `Geh bitte, ist ja nichts dabei!‘ Es hat auch nichts mit übertriebener Prüderie zu tun. Auch in diesem Bereich sind Grenzen zu wahren.
– Und wie ist das mit Oben-Ohne-Baden?
Viele Kinder leiden, wenn die Mama oben ohne baden geht. Wenn der gesamte Freundeskreis auch nackt baden geht, ist es was anderes. Dann ist es normaler. Aber wenn die Mama als eine unter wenigen oben ohne ist, kann das für die Kinder schon peinlich sein. Und das muss man berücksichtigen.
– Irgendwann werden die Kinder Selbstbefriedigung machen. Für viele Eltern ist der Gedanke unangenehm. Wie geht man damit um?
Sie müssen sich einfach daran gewöhnen, weil es normal ist. – Also nicht in der Öffentlichkeit natürlich. Aber Selbstbefriedigung ist nicht für alle Eltern das schwierigste Thema während der Pubertät. Für manche ist es schlimmer, sich daran zu gewöhnen, dass die Kinder spät heimkommen. Jeder hat seine wunden Punkte. Und die soll jeder mit sich selber ausmachen.
– Mädchen fangen oft an sich mit 11, 12 Jahren schon recht explizit zu kleiden. Warum?
Sehr wenigen ist bewusst, dass ein Minirock, oder Schminke als Reizsignale für ein männliches Gegenüber wirken. Sie schauen sich eben ab, was cool ist und was als weiblich und hübsch gilt. Buben machen das ebenso mit ihren Scaterhosen etc. Es ist natürlich leichter, seine Identität über Äusserlichkeiten fassbar zu machen. Das Innere folgt dann bis sie 18 Jahre alt sind nach – hoffentlich.
Zur Person:
Frau Dr. Koska ist Stellvertretende Ärztliche Leiterin des Ambulatoriums für Kinder und Jugendliche in Krisensituationen die Boje, Fachärztin für Kinderpsychiatrie, und Psychotherapeutin (Individualpsychologin)
Die Boje findet ihr in der Hernalser Haupstraße 15 im 17. Bezirk
01/ 406 66 02-13
Die Boje wurde vom Verein für Individualpsychologie gegründet.
Alfred Adler, der Begründer der Individualpsychologie, war der erste Tiefenpsychologe der sich intensiv mit der Psychogenese und Erziehung von Kindern auseinandersetzte. Gemeinsam mit der sozialdemokratischen Stadtregierung der Zwischenkriegszeit erschuf er die ersten Wiener Elternberatungszentren.
Finanzierung der Boje
Obwohl es in Wien keine vergleichbare Institution gibt, die dieses Angebot hat, ist der Weiterbestand des Ambulatoriums nicht nachhaltig gewährleistet. Die Boje finanziert sich zu 75% aus Krankenversicherungserlösen und zu 25% über Spenden.
Im Jahr 2008 wurde der Boje von der Stadt Wien einmalig eine Förderung ermöglicht. Somit ist die Boje weiterhin auf Spenden angewiesen, um den Betrieb aufrechtzuerhalten.
(12 mal besucht, 1 Besuche heute)
Ein Kommentar
Mich verstört der Gedanke, dass meine Kinder erwachsen werden und Sex haben werden sehr. Ich weiß nicht warum, aber ich kann gar nicht entspannt mit dem Thema umgeben. Ich hab den fixen Gedanken, dass sie dadurch beschädigt, in ihrer Unschuld beschmuzt werden oder benuut werden. Der Gedanke, dass das aber mein Problem ist, und es nicht allgemeingültig für alle ein Problem ist, entlastet mich, weil mir das sagt, dass die Realität nicht so schlimm ist, wie ich es denke.