Der Kaiserschnitt und seine Narben

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Der Kaiserschnitt und seine Narben – In Österreich kommen rund 30% der Neugeborenen per Kaiserschnitt zur Welt. Bei rund 70.000 Geburten pro Jahr sind das immerhin 21.000 Sectio-Geburten.

kaiserschnitt

Trotz sinkender Geburtenzahlen ist jedes vierte Kind also ein Kaiserschnitt-Baby. Tendenz steigend.  Entlang dieser hohen Zahlen erfahren Wunschkaiserschnitte und Notfallkaiserschnitte gleichsam ihre neue Hochblüte im Geheimen, denn geredet wird selten darüber. Tabuisierung, Mangel an Information und Konkurrenzdenken unter Müttern und Vätern machen den Kaiserschnitt nur im Schatten der Gesellschaft gesellschaftsfähig.

Judith Raunig ist zweifache Mutter, Psychologin und Outdoor-Trainerin, liebt Linzertorte, das Tomatenernten und lebt mit ihren Kindern (3 und 1 Jahre) und ihrem Mann über den Dächern von Wien. Judiths erstes Kind kam per Kaiserschnitt auf die Welt. Ungeplant. Doch sie hat gelernt, die Kaiserschnittgeburt als Teil ihres Lebens zu akzeptieren. In ihren Seminaren bietet sie Müttern, deren Geburtserlebnis aufgrund eines Kaiserschnitts enttäuschend war, Hilfe bei der Aufarbeitung.

Interview: Greta Stern

 

Du hast ja dein Seminar im Kaiserschnitt-Forum im Internet beworben. Wie wurde das aufgenommen?

Am Anfang dachte ich mir, dass es kein Problem ist, mich in Foren vorzustellen und den Frauen dort mein Seminar anzubieten. Ich musste aber feststellen, dass solche Plattformen die reinsten Blutwiesen sein können. Wenn man sich mit den angesehenen Mitgliedern, mit den sogenannten MeinungsmacherInnen, nicht gleich gut stellt, hat man schon verloren.

Aus welchen Gründen glaubst du, könnten Leute ein Problem mit deinem Angebot haben? Hast du da einen wunden Nerv getroffen?

Ich glaube, die Sache ist die, dass Leute oft Angst haben, Dinge direkt anzusprechen die sie innerlich schmerzen. Gerade beim Kaiserschnitt sind es so viele verschiedene- und schmerzvolle Gefühle: Traurigkeit, Enttäuschung, Ohnmacht, Wut, Versagensgefühle.

Wie stehst du grundsätzlich zu Kaiserschnittgeburten?

Der Kaiserschnitt ist für mich der größte Fortschritt in der Geburtshilfe in den letzten hundert Jahren. Viele Frauen sind ja davor bei ihrer Geburt gestorben. Großartig, dass es ihn gibt. Was mich stört ist, dass er oft verharmlost und tabuisiert wird. Ich finde es nicht gut, wenn ein Kaiserschnitt beiseite geschoben wird, nicht mehr daran gedacht wird, etwaige Probleme von vorne herein nicht mit ihm in Verbindung gebracht werden.

Was genau wird tabuisiert? Die Operation an sich oder die Konkurrenz in der sich manche Mütter in Bezug auf ihre Geburt sehen?

Der Kaiserschnitt muss endlich als das betrachtet werden was er ist: eine große Bauchoperation, die im Ernstfall Leben retten kann, die jedoch körperliche und seelische Auswirkungen hat. Der Kaiserschnitt wirdb- sicher auch auf Grund der Häufigkeit –  zu einem kleinen Routineeingriff heruntergespielt. Von jemandem der gerade eine Blindarm-Operation bekommen hat würde beispielsweise niemand verlangen, dass er am Tag danach gleich aufsteht, ein Kind wickelt und seinen Alltag ohne weiteres wieder aufnimmt. Als Kaiserschnitt-Mutter steckt man nach der Geburt oft mehr zurück – manchmal auch aus Schuldgefühlen sich selbst und dem Kind gegenüber.

Verdrängen Kaiserschnitt-Frauen ihre Enttäuschung bzw. ignorieren sie?

Ja, leider sehr oft. Einerseits deswegen, weil es schwierig ist, die traumatische Erfahrung eines ungeplanten Kaiserschnitts mit der Freude über das Kind unter einen Hut zu bringen und andererseits weil in unserer Gesellschaft noch total das Bewusstsein darüber fehlt, dass ein Kaiserschnitt Auswirkungen haben kann, die Aufmerksamkeit und Unterstützung brauchen um heilen zu können. Es ist zwar schmerzhaft, aber für viele funktioniert das Leben dann eh irgendwie weiter es muss ja. Das Kind ist da und man denkt sich „na, so schlecht war es ja dann auch nicht“ und „Hauptsache, dem Kind geht es gut“ und ich „Ich schaffe das schon irgendwie“ etc.

Wie hast du dich damals nach deinem Kaiserschnitt gefühlt?

Eine Zeit lang hatte ich das Gefühl, versagt zu haben. Ich hatte dieses Leistungsdenken, mein Kind nicht selbst auf die Welt gebracht zu haben, so wie ich es mir gewünscht hatte. Das war sehr enttäuschend für mich. ‚Ich habe etwas nicht geschafft, was ich doch hätte schaffen wollen‘. Und ich fühlte mich einer echten Geburt beraubt.

War die natürliche Geburt deines zweiten Kindes hilfreich bei der Verarbeitung des Kaiserschnitts?

Ich habe schon vor der Geburt meiner Tochter mit meinem Kaiserschnitt Frieden geschlossen. Ich hatte auch kein Problem mir vorzustellen, dass es beim zweiten Kind wieder ein Kaiserschnitt wird. Ich dachte mir „wenn es so sein soll, dann soll es so sein“. Ich war wirklich damit versöhnt und in Gedanken darauf vorbereitet, die zweite Geburt so zu nehmen wie sie kommt.

Und dann ist die zweite Geburt genau diese Geburt geworden, die ich mir bei der ersten schon gewünscht hätte. Wahrscheinlich sind mit dieser natürlichen Geburt dann die letzten seelischen Schmerzen der ersten geheilt worden.

kaiserschnitt

Wie hast du die natürliche Geburt deiner Tochter empfunden?

Also die Geburt hat 4 Stunden gedauert und die waren fürchterlich schmerzhaft. Ich bin also eine Derjenigen, die es nicht nachempfinden können, wenn Frauen ihre Geburt so erfüllend empfinden. Aber abgesehen von den höllischen Schmerzen, war es im Nachhinein eine schöne, normale Geburt.

Welche Probleme kann der Kaiserschnitt nachträglich mit sich bringen?

Zu mir kommen Frauen, die noch immer traurig oder enttäuscht über den Kaiserschnitt sind, ein mulmiges Gefühl haben, wenn sie an die nächste Schwangerschaft denken oder Probleme mit ihrer Narbe haben. Die Auswirkungen die ein Kaiserschnitt haben kann, sind aber ganz unterschiedlich. Manchmal können auch Schlafstörungen, Depressionen, Panik-Attacken oder eine posttraumatische Belastungsstörung auftreten. Diesen Frauen rate ich aber auf jeden Fall, die Hilfe einer TherapeutIn in Anspruch zu nehmen. Ich selbst bin ja keine Therapeutin.

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Die Kaiserschnittnarbe Ein Symbol für enttäuschte Erwartungen?

Leider haben viele Frauen sogar noch Jahre nach dem Kaiserschnitt Schwierigkeiten mit ihrer Narbe und empfinden sie als störend. Das hat auch viel mit den negativen Verknüpfungen zu tun, die das Gehirn im Zuge eines Kaiserschnitts macht. Es kann sehr verstörend sein mitzubekommen wie die Ärzte und Hebammen im Kreißsaal agieren, man selber als Person aber überhaupt nicht in das Geschehen miteinbezogen wird. Die Narbe ist eine bleibende Erinnerung an die oft schmerzvolle Erfahrung und ihr gehört unbedingt mehr Beachtung geschenkt. Frieden mit dem Kaiserschnitt zu schließen ist in jedem Fall auch hilfreich für die Narbe. Eine meiner Teilnehmerinnen hat mir nach dem Seminar geschrieben, dass sie nun zum ersten Mal seit dem Kaiserschnitt vor dem Spiegel gestanden ist und ihre Narbe gemocht hat.

Werden die Schmerzen nach dem Kaiserschnitt unterschätzt?

Definitiv. Von der Schmerzbehandlung hängt dann natürlich auch viel ab. Ich hatte schon Frauen in meinem Seminar bei denen der größte Schmerz nicht der seelische, sondern der körperliche war. Diese Frauen berichten mir von tage- und wochenlang anhaltenden Schmerzen die so stark waren, dass sie sich nicht um ihr Kind kümmern konnten auch emotional nicht. Ich denke, dass das einerseits auf ein unterschiedliches Schmerzempfinden zurückzuführen ist – die wenigen zugelassenen Schmerzmittel werden vermutlich unterschiedlich gut vom Körper aufgenommen – andererseits kann der Schmerz auch eine Ãœberraschung für jene Frauen sein, die sie vorher unterschätzt haben. Auf Etwas, mit dem man nicht rechnet, reagiert der Körper mit Stress und Angst.

Mit welcher Erwartungshaltung soll man seiner Geburt entgegengehen?

Es gibt zahlreiche Studien zu diesem Thema. Ein Kriterium ist vor allem, dass sich viele Frauen nicht ausreichend über die bevorstehende Geburt und alles drumherum informiert fühlen. Sie werden zu wenig über das Thema Kaiserschnitt und über die Zeit danach aufgeklärt und glauben, dass der Kaiserschnitt etwas Schmerzfreies ist, das schnell vorbei ist. Die Enttäuschung, dass es dann doch anders ist, verursacht bei vielen eine negative Verknüpfung mit der Operation.

Am schlimmsten ist es bei Frauen, die eine Hausgeburt geplant haben, dann aber einen Notfallskaiserschnitt bekommen. Man ist auf etwas vorbereitet und wird schwer damit fertig, dass es nicht genau so eintritt. Man sollte sich schon lange vor der Geburt bewusst sein, dass es auch ein Kaiserschnitt werden kann.

hausgeburt

Eine bessere Aufklärung über den Kaiserschnitt und eine natürliche Einbindung dieser Geburtsvariante ist notwendig. Wer sollte das deiner Meinung nach übernehmen?

Hier sind die Frauenärzte und das Personal in den Kliniken gefragt, aber auch schon die Hebammen in den Geburtsvorbereitungskursen. Ich habe es schon sehr oft gehört, dass das Thema Kaiserschnitt in der Geburtsvorbereitung total ausgespart wird. Es wird oft so getan, als wäre eine besonders intensive Geburtsvorbereitung der Garant dafür, dass es sicher kein Kaiserschnitt wird. Das ist totaler Schwachsinn! Je besser eine Frau über die Geburt aufgeklärt ist und auf sie vorbereitet ist, desto besser verkraftet sie sie. So ist es ja auch bei primären Kaiserschnitten die geplant sind und wo die Frauen sich darauf vorbereiten können.

Wie sind deine Kurse aufgebaut?

Wichtig zu sagen ist, dass ich keine psychotherapeutische Behandlung anbiete, sondern ein zweitägiges Selbsterfahrungs-Seminar in dem versucht wird, Methoden zu finden die den Frauen dabei helfen ein Stück mehr Frieden mit ihrem Geburtserlebnis zu schließen. Es geht auch darum, die eigene Geschichte in geschütztem Rahmen erzählen zu können und mit anderen Frauen zu teilen. Mein Motto ist ‚Heilen durch Teilen‘.

Neben meiner psychologischen, habe ich auch eine Outdoor-Trainerinnen-Ausbildung. Bei mir wird also auch viel draußen in der Natur gemacht. Da spielen körperliche Ãœbungen und Rituale eine wichtige Rolle. Ich versuche, möglichst viele Elemente einzubauen – so unterschiedlich die Frauen sind, so unterschiedlich müssen auch die angebotenen Methoden sein.

Was können sich die Frauen aus deinem Seminar mit nach Hause nehmen?

Im Rahmen des Seminars bastelt jede Frau einen Traumfänger in den Symbole hineingeknüpft werden die für die Schätze stehen sollen, die einem die Geburt gegeben hat. Ich gebe auch ein Badeöl mit, das die Frauen für ein „Heilungsbad“ mit ihrem Kind verwenden können. Außerdem bekommen die Frauen auch Tipps und Vorschläge für Rituale die sie mit ihrem Kind oder Partner zuhause machen oder in ihren Alltag einbauen können.

Welchen Schatz trägt dein eigener Kaiserschnitt-Traumfänger?

Durch den Kaiserschnitt habe ich begriffen, dass man sich im Leben nicht immer alles aussuchen kann. Vor meinem Kaiserschnitt dachte ich- mit der „richtigen“ Vorbereitung, der optimalen Unterstützung passiert einem kein Kaiserschnitt. Da hab ich mich wirklich getäuscht! Es gibt einfach Dinge, die nicht berechenbar sind. Brigitte Meissner, eine großartige schweizer Hebamme meint: „Das Leben ist größer als wir.“ Man kann sich zwar Sachen wünschen, ob man sie dann so bekommt, ist eine andere Sache. Ich sehe eine Geburt als etwas, das man vom Universum geschenkt bekommt.

Ohne den Kaiserschnitt würde ich vermutlich auch meine Kurse nicht halten – die Arbeit mit den Kaiserschnitt-Frauen ist wunderbar und eine Sache die ich extrem gerne mache. Es ist eine herausfordernde und erfüllende Arbeit auf die ich mich jedes Mal freue!

Judith Raunigs nächstes Seminar findet vom 3. bis 5. Dezember in Neulengbach statt.

Kontakt: judithraunig@hotmail.com

Homepage: www.nach-dem-kaiserschnitt.at

 

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5 Kommentare

  1. Also, grad in unserer Gesellschaft wird der Kaiserschnitt überhaupt nicht hochgelobt sondern so gut wie ausschliesslich problematisiert! Und das ist auch ein Grund dafür warum so viele Frauen, dann so unendlich enttäuscht sind, wenn es am Ende ein Kaiserschnitt wird. Wer will sein Kind schon auf `minderwertigen´ Weg auf dei Welt bringen oder das Kind gar durch die Kaiserschnittgeburt `traumatisieren´? Da lastet ein ungeheurer Leistungsdruck auf den Frauen! Und DAS finde ich sehr problematisch. Mein Kaiserschnitt ist übrigens ohne jegliche Probleme verlaufen. Und ich bin nicht die einzige in meiner Umgebung, die gar kein Problem mit ihrem Kaiserschnitt haben. Am nächsten Tag konnte ich ohne Schmerzen aufstehen. Das ist sicher nicht bei jeder Frau so – aber sind wir uns ehrlich – auch nicht nach jeder vaginalen Geburt sind die Nachwirkungen so ohne! Der Kaiserschnitt ist einfach was er ist: Eine alternative Geburtsform. Er rettet viele Kinderleben. Und viele Frauen gebähren lieber mittels Kaiserschnitt als vaginal. Beide Geburtsformen bringen Probleme mit sich, auf die man die Frauen vorbereiten sollte. Und dann sollte jede Frau selber entscheiden, wie sie es angehen soll.

  2. Ich glaube, dass es sehr wichtig ist, dass Schwangeren lange im Vorraus die Möglichkeit gegeben wird richtig beraten zu werden.

    Wenn man sich nur in den Grundzügen mit dem Weg von der Befruchtung bis nach der Geburt beschäftigt und weiß welchen Einwirkungen das Baby in dieser Zeit ausgesetzt ist und welche Traumata in 95% der Fälle davongetragen werden ist es kaum vorstellbar, dass der Kaiserschnitt in unserer Gesellschaft überhaupt so hoch gelobt bzw. immernoch so gut angenommen wird.

    Ich stimme jedoch voll zu, dass eine umfassende Betreuung nötig ist wenn es, aus welchen Gründen auch immer, zu einem Kaiserschnitt kommt. Und zwar für Mutter UND Baby

  3. Ich kenne die Erfahrung mit der Narkose von meinem Kaiserschnitt. Das war echt scheisse. Zu glauben, dass man keine Luft mehr kriegt. Da könnte man einen im Geburtsvorbereitungskurs wirklich darauf vorbereiten!

  4. Ob esoterisch aufgeladen oder nicht…viele Frauen sind einfach total konditioniert darauf irgendwann eine perfekte Geburt hinzulegen. Wenn es nicht klappt ist das Drama da. Ich finds super, wenn solche Frauen dann wohin gehen können um ihre Gefühle aufzuarbeiten. Sonst läßt sie das vielleicht nie los.
    Aber im Nachhinein eine richtige Geburt in der Wanne nachspielen, kommt nur schon etwas komisch vor:-)

  5. Hatte selbst einen Kaiserschnitt – nicht erwünscht aber lang geplant und daher auch die Möglichkeit mich damit vorher auseinanderzusetzen und soweit möglich Dinge selbst zu bestimmen. Insofern finde ich es sehr wichtig, dass Frauen die Möglichkeit gegeben wird den Kaiserschnitt aufzuarbeiten, vor allem wenn er eben nicht geplant war.

    Aber: Die Versagensgefühle und wie groß dieses Thema dann werden kann hängt meiner Meinung nach schon mit dem esoterischen Aufladen und Aufbauschen des „Geburtserlebnisses“ zusammen. Im Endeffekt IST es am wichtigsten dass Mutter und Kind nachher gsund sind.

    Uns wurde übrigens in einem Vorbereitungsseminar für den Kaiserschnitt empfohlen, nachher eine „richtige“ Geburt in der Badewanne nachzustellen um das fehlende Geburtserlebnis nachzuholen 😀

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