Glück und Unglück

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Weihnachten 2022 hat alle Erwartungen übertroffen. Kein Schatten ist auf uns gefallen. Keine Existenzängste, keine Krankheit, keine psychischen Probleme.

Glück

Wir haben alles gemacht, was man bei einem Winter-Familienfest gerne macht. Von Essen bereiten, Wohnung schmücken, viele Stunden mit vielen lieben Menschen feiern.

Es gab von warmen Kartoffelsalat mit Schrimps, Steak, Kohlsprossen mit Butter bis zu Kötbullar, alles was man sich wünschen kann.

Kötbullar

Tage vorher wurde Weihnachtsschokolade gekocht. Es braucht mehrere Stunden, bis die Schoko-Obers-Masse eindickt.

Währenddessen schaut man Weihnachtsfilme und schreckt alle 15 Minuten auf um in Panik im Topf umzurühren, damit die Masse nicht anbrennt. Dann schüttet man die Masse auf Backpapier und streut Mandeln drüber.

Weihnachtsschokolade

Danach schneidet man sie, so lange sie noch weich ist, in mundgerechte Quadrate.

Außerdem haben wir Mandarinen-Rollade gebacken. Ein bemerkenswertes Rezept, weil sie Dosen-Mandarinen voraussetzt – also keine Frischware. Das bedeutet aber nicht unbedingt, dass es ein neues Rezept ist, denn Konservendosen gibt es bereits seit dem 19. Jahrhundert. Die Kombination aus flockigem Nussteig und saftigen Mandarinen ist unschlagbar gut.

Das neue Wohnzimmer wurde eingeweiht.

Wir haben bis halb 2 Uhr Früh Drinks genossen und Blödsinn geredet und sogar gemeinsam gesungen.

Ich habe einen warmen Negroni mit locker geschlagenen Obers gemacht. Den fand ich sehr gut, man braucht aber etwas Übung im Genießen von Bitter-Geschmack. Aber das gilt für Negroni ja sowieso. Der Schlagobers gibt dem Getränk ein wenig Milde zurück.

Unglück

Gleichzeitig saß ein Freund von mir bei sich zu Hause und wollte die Wohnung nicht verlassen. Er war gerade aus der Türkei zurückgekommen. Sein Plan war gewesen über die türkische Grenze nach Syrien einzureisen um seine Eltern zu besuchen. Sie wohnen eine Stunde von der Grenze entfernt und er hat sie seit 9 Jahren nicht gesehen. Damals mussten er und 3 seiner Geschwister vor dem Assad-Regime fliehen.

An der türkisch-syrischen Grenze angekommen, wurde er Zeuge wie fürchterlich die türkischen Behörden die syrischen, oft minderjährigen Kriegsflüchtlinge, behandeln. Er sah mit eigenen Augen, wie sie wie Verbrecher mit Kabelbindern abgeführt, geschlagen, fotografiert und wieder zurückgeschickt werden.

Ein „Service“ das von der EU finanziert wird. Anstatt alles dran zu setzen, das Assad-Regime zu schwächen damit die Menschen wieder in Sicherheit leben können, bezahlt man für die Aufrechterhaltung dieser Flüchtlingstragödie.

Er selbst musste seinen Versuch nach Syrien einzureisen, abbrechen, weil er bedroht wurde und man ihm ankündigte, dass er aus Syrien nicht mehr zurück in die Türkei gelassen werden würde.

Er ist unter großer Angst zurück ins Hotel geflohen und mit dem erstbesten, teuersten Flug zurück nach Österreich.

Vor einigen Jahren noch konnte man sich auf die Türkei verlassen, sagt er. Sie galt unter den Syrern als Freund und Helfer. Und diese Hilfe wurde bitter gebraucht. Jetzt ist der Feind nicht mehr nur auf der einen Seite sondern auch auf der anderen Seite der Grenze.

Er ist sich sicher, dass er seine Eltern niemals wiedersehen wird.

Die Angst bei seiner Flucht vor 9 Jahren verbindet sich mit der Angst die er vor 2 Wochen an der türkischen Grenze erleben musste und über dem Ganzen breitet sich die Trauer darüber aus, seine Eltern nicht mehr wiederzusehen.

Er hatte seiner Mutter gesagt: „Wenn ich dich nur noch einmal sehen dürfte, könnte ich danach sterben.“ Aber er wolle auf keinen Fall, beim gescheiterten Versuch sie wiederzusehen, sein Leben lassen.

Für ihn fängt das neue Jahr pechschwarz an.

 

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Ein Kommentar

  1. Hallo Patrice,
    eine zuckersüße, tragische Geschichte die du da erzählst. Ich hatte die Erwartung, eine gemütliche Weihnachtsanekdote zu lesen. Das stimmte am Anfang ja auch 🙂
    Dann die Erfahrung deines Freundes zu lesen war zunächst ein krasser Schock. Aber trotzdem bin ich nicht unglücklich oder enttäuscht. Es ist halt einfach ein Teil der Realität, dass die tragischen Schicksale durch Krieg und politische Auseinandersetzung immer näher kommen. Falls es zu deinem Freund und seinen Eltern doch noch ein Happy End geben sollte, würde mich das trotzdem freuen (und interessieren).

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