„Ring frei“! Ein Trend der unter Umständen mit Vorsicht zu genießen ist, denn macht diese Regelung nicht „den Ring frei“ für den Rosenkrieg?
Ein Abriss von Greta SternWie wird die Obsorgefrage derzeit in Österreich geregelt?
Der Staat greift bislang nur dann ein, wenn es bereits Streit gibt, Streit der direkt auf die Kinder übertragen wird. Ansonsten schreibt er vor, dass nach einer Scheidung die Obsorge für die gemeinsamen Kinder bei einem Elternteil bleibt. Meist bei der Mutter. Der oder die nicht Obsorgeberechtige darf nicht mitentscheiden, in welche Schule das Kind gehen wird oder wo es leben soll. Er oder sie darf darüber hinaus auch nicht ohne Einverständnis des Obsorgeberechtigten das Kind von der Schule abholen oder es in den Pass eintragen lassen.
Der Antrag auf gemeinsame Obsorge wird nur in beidseitigem Einverständnis bewilligt. Und ‚nur‘ bedeutet heute immerhin mehr als 50% der Paare – ein Gegentrend? Bislang umgab jene Eltern, die es schafften sich versöhnlich zu trennen, das Flair einer Subkultur. Doch immer mehr Paare gehen einvernehmlich auseinander oder finden einen außergerichtlichen und kooperativen Weg im Sinne ihrer Kinder. Als einen ihrer Anhänger könnte man Roland Rathbauer bezeichnen, seit Außendienstmitarbeiter bei der Ages Wien …
Wenn Männer (zu sehr) wollen …
‚Ich freue mich darauf, meine Tochter diese Woche wieder zu sehen. Zu Mittag hole ich sie vom Kindergarten ab, dann gehen wir ins Bad und ich bringe ihr schwimmen bei!‘ Der Vater einer 5jährigen Tochter, weiß wie es ist, sich nach einer Trennung als Obsorgebenachteiligter über Wasser halten zu müssen. ‚Wir waren ja nicht verheiratet. Da bleibt das Kind ja automatisch bei der Mutter.‘ Seine Tochter, Nina, die bei ihrer Mutter lebt, nennt ihn abwechselnd ‚Papa‘ und ‚Roland‘. ‚Damit habe ich kein Problem. Das zeigt nur, wie freundschaftlich wir einander begegnen. Ich bin ja mit meinen 40 Jahren nicht in der Zeit stehen geblieben und lebe anders als es meine Eltern getan haben.‘
Als Roland und seine Lebensgefährtin sich nach einjähriger Beziehung vor vier Jahren trennten ‚weil es nicht mehr gepasst hat‘ bemüht er sich geduldig um mehr Kontakt zu seiner Tochter. ‚Anfangs durfte ich meine Tochter nur im Abstand von zwei Wochen unter Aufsicht der Mutter sehen, weil meine Expartnerin das so wollte.‘
Eine Trennung ist niemals leicht und in Rolands Fall gab es eine lange Durststrecke mit viel Traurigkeit und Hilflosigkeit, wo schon ein kurzes Treffen mit Mutter und Kind nur unter hoch emotionaler Anspannung stattfindet. Man müsse aber über so etwas hinweg kommen, meint Roland, der gelernt hat, über seinen Schatten zu springen und auch mal auf Wunsch seiner Tochter Blumen für seine Expartnerin kauft. Er weiß, dass er beiden damit eine Freude macht. ‚Vielen Männern geht es so nach einer Scheidung oder Trennung‘ weiß Roland aus Gesprächen mit anderen Vätern sowie seiner Sozialreferentin und betont, dass man sich als Vater um sein Kind bemühen müsse.
‚Man muss sich zum Wohle des Kindes vor allem mit der Kindesmutter vertragen, sonst kann es nicht funktionieren. Auch als Vater kann man punkten und das merkt man auch nach einer gewissen Zeit. Das ist ein Rat, den ich allen Vätern in so einer Situation mitgeben kann.‘
Eine Prämisse, die für den Beamten ein Erfolg ist, erlaubt ihm seine Expartnerin mittlerweile schon spontane Besuche und Tagesausflüge mit der gemeinsamen Tochter. ‚Wir telefonieren auch wieder mehr und reden über Kleinigkeiten.‘
Die Tatsache, einen außergerichtlichen gemeinsamen Konsens im Sinne seiner Tochter gefunden zu haben, macht ihn glücklich. ‚Der Weg ist der richtige. Ich habe noch so viele Aufgaben in meinem Leben zu erfüllen und die möchte ich gerne so weit es geht in Begleitung meiner Tochter erleben.‘ Eine dieser Aufgaben hat Roland schon realisiert. In der gerade neu bezogenen Wohnung in ruhiger peripherer Lage soll sich seine Tochter heimelig fühlen.
Auf das bandion-ortnersche Politikum der automatischen gemeinsamen Obsorge angesprochen, winkt er ab und gibt zu verstehen, dass er nichts davon hält. In seinem Fall hätte das nach der Trennung nur zu noch mehr Streit geführt, meint er.
Wenn die Obsorgefrage zur Überlebensfrage wird …
Mit Situationen, wie sie Roland Rathbauer durchlebt hat, die seit 1981 für die Stadt Wien tätige Sozialarbeiterin Christa Strasser von der MA 11 oft zu tun, obwohl sie hervorhebt, dass sich eindeutig mehr Paare einvernehmlich trennen und ’strittige Scheidungen und Trennungen wirklich schon in der Minderzahl sind.‘ Eine Tatsache, die sie zu einem großen Teil der reichen Palette an Beratungsmöglichkeiten und den Mediationsstellen zuschreibt. ‚Wir werden ja bei jeder Pflegschaftsangelegenheit und Angelegenheiten, die die Obsorge betreffen, vom Gericht gefragt, sehen uns die Sache an und verfassen dann einen Bericht.‘ Die Herangehensweise ist von Fall zu Fall verschieden, betont Strasser, wobei im Vordergrund immer das Kind steht. ‚Bei Scheidungen unterscheiden wir nicht, ob ein Paar einvernehmlich oder nicht einvernehmlich auseinander geht. Uns geht es vorrangig um die Kinder und darum, eine adäquate Obsorgelösung zu finden. Der Scheidungsgrund wird für uns erst relevant, wenn häusliche Gewalt ins Spiel kommt.‘ In Fällen mit Gewaltanwendung wird, so Strasser, die dringliche Obsorgefrage schon vor einer Scheidung geklärt ‚Scheidung und Obsorgeverfahren müssen nicht zwingend Hand in Hand gehen.‘
Roland hat seinen Grant zurückgesteckt und dafür seine Tochter wiederbekommen
In schwereren Fällen bekommt die erfahrene Sozialarbeiterin auch Einblick in die direkte Familiensituation. Der Fall einer alkoholabhängigen Mutter von drei Kindern habe sie persönlich sehr berührt. ‚Sie lebte allein mit ihren Kindern. Der Mann war nur ab und zu anwesend, aber nicht bei der Familie wohnhaft. Aufgrund ihrer Alkoholabhängigkeit wurden wir, das Jugendamt, mit dem Fall betraut. Die Mutter hatte ihr jüngstes Kind, das noch ein Baby war, zu einer Nachbarin gegeben, weil sie einige Zeit nicht zuhause war. Es stellte sich heraus, dass die Nachbarin ebenso Mutter und Alkoholikerin war. Es war so schlimm, dass die Kinder medizinisch betreut werden mussten und wir nun gleich mit zwei sehr problematischen Sorgerechtsverletzungen zu tun hatten.‘
In Anbetracht solcher Fälle, muten beispielsweise Streitereien um Minuten beim Besuchsrecht, wie sie Strasser regelmäßig erlebt, leicht süß-säuerlich an. ‚Es gibt Paare, die streiten darum, dass das Kind mit einem kleinen Fleck auf dem T-Shirt wieder zurück kommt oder nicht geduscht hat. In solchen Situationen verlieren die streitenden Eltern das Kind aus dem Blickfeld. Da geht es nur darum, dem anderen eine Verfehlung nachzuweisen, um zu beweisen, dass man selber der bessere Elternteil ist.‘ Recht haben und nachgeben seien auf beide Geschlechter relativ gleich verteilt, so Strasser, im Sinne des Kindes aber absolut kontraproduktiv.
Beziehungsarbeit nach Beziehungsbeendigung
Wenn es zum Gerangel um die Kinder kommt, versucht man bei der MA 11 zuerst Lösungen in Gesprächen zu finden. In Anbetracht der hohen Zahl an einvernehmlichen Scheidungen scheint das der richtige Weg zu sein. Das Gespräch suchen, sich öffnen, Trauer, Wut und verschiedene Standpunkte akzeptieren sowie Prioritäten im Sinne der Kinder setzen – das Protokoll eines erfolgreichen Sorgerechtsgespräches? Nach Christa Strassers Prinzipien, ja! Wozu braucht man dann ein Gesetz zur verpflichtenden automatischen gemeinsamen Obsorge? ‚Ich denke mir, das beste Gesetz regelt trotz allem nicht die zwischenmenschlichen Beziehungen. Wenn Eltern es geschafft haben, vorher auch schon eine Gesprächs- und Kommunikationsbasis zu haben und es für beide klar ist, dass die Kinder wichtig sind, dann werden sie das auch nach einer Scheidung nicht verlernt haben. Wenn sie das vor der Scheidung schon nicht konnten, wird es danach auch nicht funktionieren. Wir warten alle das Gesetz ab und werden dann sehen, was es für Auswirkungen hat.‘
Auch bei den Männerberatern und Frauenrechtlerinnen herrscht derweil noch Skepsis. Die automatische gemeinsame Obsorge könnte Rosenkriege in die Länge ziehen, in denen es (vor allem) Männern nicht darum gehe, die gemeinsamen Kinder öfter zu sehen, sondern weiterhin darum, ihre Macht zu behalten – vor allem über die Exfrau. Wer seine Besuchszeiten nicht einhalte, brauche auch in Schulfragen nicht mitzubestimmen, ist der Grundtenor.
Den in den Medien kolportierten Lösungsvorschlägen wie beispielsweise der Errichtung einer vorgelagerten Schlichtungsstelle oder dem Ausbau der psychologischen Betreuung steht Christa Strasser skeptisch gegenüber. Das Angebot an Beratungsstellen und Serviceangeboten sei höher als die Nachfrage. ‚Es gibt eine breite Palette an Angeboten die die Leute nutzen könnten. Wir würden uns wünschen, dass mehr Eltern kämen und sich beraten lassen!‘ Je früher desto besser so scheint es, denn viele Paare lassen sich Zeit, meint Christa Strasser. ‚Viele fragen erst dann bei uns um Beratung an, wenn wir schon den Akt vom Gericht bekommen.‘
Don’t leave me this way!
Es geht auch anders – wie beispielsweise ein Modell aus Japan zeigt: Für die jährlich mehr als 250.000 Scheidungen im Land gibt es eine immer beliebter werdende Lösung: Scheidungsparties. Diese Parties verstehen sich als direkter Gegenpol zur Hochzeit und werden mit eben solchem Aufwand und Bremborium gefeiert. Neben dem Vermögen wird auch gleich das Sorgerecht verteilt und Vertreter von Beratungsstellen geben Vorort Tipps für die Gestaltung seiner nahen Zukunft. Als Highlight der Zeremonie können die Eheringe mit einem Hammer zerschlagen werden.
http://www.youtube.com/watch?v=4gjQRuRRd6I
Hintergedanke des Erfolgskonzeptes laut Erfinder, Hiroki Terai: Die Verlassenen sollen auf positive Art und Weise die Beendigung ihrer Ehe oder Beziehung akzeptieren lernen. Eine öffentliche Trennungsfeier ist etwas, das in Österreich vermutlich nicht Fuß fassen wird, dennoch kann Christa Strasser dem Gedanken dahinter etwas abgewinnen. ‚Ich denke, dass eine Scheidung bei vielen Menschen eine Art von Krise verursacht. Aber jede Krise bietet ja die Chance, dass sich etwas Neues daraus entwickelt. Der Gedanke, in die Zukunft zu schauen und sich zu überlegen, wie es nun unter anderen Vorzeichen weitergehen kann, ist keine schlechte Herangehensweise.‘