Die Augen meiner Kinder

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Meine Tochter ist eine Persönlichkeit. Nonanet. Alle Kinder sind Persönlichkeiten, sie kommen mit ihren Dispositionen auf die Welt, sie schreien viel oder sind sehr ruhig, sie haben eine bestimmte Art zu schauen oder sich zu bewegen, sie schlafen viel oder wenig. Meine Tochter hat mich schon im Bauch unglaublich viel getreten, beim Autofahren am meisten. Ich hab gewusst, dass sie eine wilde Hummel wird.

Wenn sie mir etwas erzählt, wenn sie mich zu etwas animieren will und ihr mit frischer Information angefüttertes Gehirn auf Hochtouren arbeitet, um mir zu vermitteln, was sie mir jetzt unbedingt mitteilen oder wozu sie mich bringen will, dann kriegt sie einen Ausdruck in den Augen, der mich jedes Mal umhaut. Ein derart intensiver Eifer, eine Konzentration, sie runzelt ihre kleinen Brauen, wenn sie mich von etwas überzeugen will, ihre ganze obere Gesichtshälfte strengt sich auf höchste Weise an und ihr tiefster Ernst ist so schwer auszuhalten, dass es mich zum Lachen reizt. Unnötig zu sagen, dass sie das wahnsinnig macht, sie mich anschreit, sobald ich lächeln muss, denn sie meint es ERNST, SO ERNST. Inzwischen reiß ich mich zusammen und bemühe mich, kein kleinstes Lächeln auskommen zu lassen. Ihr Ernst ist tausendprozentig zu respektieren.

Ich weiß, dass diese Zeit des Ernstes bald vorbei ist, sie bald die Nuancen von Lüge und Ironie kennenlernt, aber noch ist es nicht soweit. Kostbare Monate, vielleicht ein, zwei  Jahre noch.

Mein Sohn kennt das alles längst. Auch er ist eine Persönlichkeit, aber im Stillen, im Verborgenen, er stellt sich nicht zur Schau. Er hat eine viel größere Last zu tragen. Er ist das typische Alleinerziehendenkind, sehr kooperativ, sehr schnell beim Spüren, was zu tun ist, um die Situation für mich einfacher zu machen, oft, zu oft auf seine Kosten. Als Neo-Single-Mama war ich bestimmt auch zu unvorsichtig mit dieser seiner übergroßen Einfühlsamkeit, war einfach froh, dass er mitgespielt hat.

Wenn ich ihn heute kritisiere (was selten vorkommt, weil, siehe oben), wenn ich schimpfe oder ihn frage, warum er tut, was er tut, dann schaut er mich nur mit großen Augen an. Und ich sitze völlig hilflos vor dieser blanken, glatten Fläche, die mich komplett ausschließt. Ich möchte ihn so gern erreichen, möchte nur von Mensch zu Mensch ein paar Dinge klären, doch er lauert hinter seinen Augen, ist auf der Hut und lässt mich nicht rein. Dann kriege ich Angst, ob die Liebe und die Geborgenheit und das Verständnis und das Sich-Einfühlen genug waren oder ob es zu viel Frust und Geschrei und Ungeduld und ja auch Ungerechtigkeit war, die er erleben musste.

Aber ich weiß, dass die Zeit der Ehrfurcht bald vorbei ist, er bald die Nuancen von Selbstgerechtigkeit und Herablassung kennenlernen wird. Fast freu ich mich drauf und hoffe, dass die Macht der Biochemie stark genug ist und wir die Kraft und das Vertrauen haben, die Symbiose knacken zu lassen.

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2 Kommentare

  1. pony_hütchen on

    Du kannst wirklich reflektiert und sehr stringent schreiben, find ich. Ganz abgesehen davon, dass du deine Emotionen total gut verbalisieren kannst. Respekt!

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