Wir haben gestern ein Essen für Medienfreunde gegeben. Eines der anregenden Gesprächsthemen galt der Medien und wie unterschiedlich JournalistInnen denken. Nicht zuletzt, weil einige JournalistInnen anwesend waren. Und zwar ging es um ein Interview, das in den letzten Tagen heftig diskutiert wurde. Für mich fing der Diskurs mit einem Tweet von Euke Frank an. Sie ist Chefin von Women.
Ich hab den Tweet gelesen und gedacht: „Aha, was hat er denn gemacht? Bzw. warum sollte ein Komödiant nicht arrogant oder unsympathisch sein können? Das würde mich persönlich nicht enttäuschen. Das ist im möglichen Spektrum eines Charaktertypen immer inkludiert und lässt mich kalt. Also, ich finde es interessant als Info, aber ich bin nicht persönlich enttäuscht. Es ist ja nicht mein Bruder oder meine Mutter oder guter Freund. Es ist ein Unbekannter, der gut performt und besonderes Talent hat. Aber, dachte ich mir, vielleicht hat er was arges gemacht. Was Sexistisches oder Antisemitisches gesagt. Wenn sich Euke Frank so mächtig ausdrückt, scheint er wirklich was widerliches gesagt zu haben. Das fände ich schade, denn dann muss ich in bannen, weil das tu ich halt automatisch, wenn jemand sexistisch oder antisemitisch ist.“
Nun, dann stolperte ich schließlich über das Interview mit Jerry Lewis, über das Euke Frank sich so erbost hat, und sah es mir an. Die erste Frage des Interviewers: „Wir machen eine Show über Menschen über 90, die immer noch im Showbusiness sind. Haben Sie schon mal darüber nachgedacht in Pension zu gehen?“
Offensichtlich hatte man ihm ca. 10 Minuten Interviewzeit eingeräumt, denn er stellte alle weiteren Fragen sehr schnell, sehr vorprogrammiert und schaffte es jede einzelne Frage so zu formulieren, dass auf Jerry Lewis hohes Alter angespielt wurde und gleichzeitig mitschwang, dass seine Prime Time vorüber sei. In der Art: Wie könne er mit 90 überhaupt noch arbeiten? Wie lange läge die Glanzzeit seiner Karriere zurück? Wie sehe sein Publikum heute aus, wo er doch schon über 90 ist? Welche nostalgische Geschichte könne er aus vergangenen Zeiten berichten? Wie war es als alter Mann wieder in einem Film mitzuspielen? Hatte er Angst, dass er es nicht mehr bringen würde?
Eine dumm formulierte Frage nach der anderen. Jerry Lewis spielte hier nicht mit. Abgesehen davon, dass er höchstwahrscheinlich diese Fragen, in intelligenterer Form, bereits 10.000 Mal gestellt bekommen hat und sie leid ist, waren sie in sehr unintelligenter Art gestellt. Jerry Lewis verneint bei jeder Frage, dass irgendetwas anders sein könne heute als damals. Las Vegas sei heute genau so wie 1947. Er arbeite heute genauso an seinen Texten wie damals. Seine Fans seien genau die selben wie damals. Nur bei Dean Martin antwortete er nicht zynisch. Auf die Frage, wie Dean Martin als Schauspielkollege gewesen sei, antwortet er mit Nachdruck „terrific“. Aber er will natürlich keine nostaligische Anekdote über ihn erzählen.
Bei jeder Frage, die kam, fragte ich mich: Wie lange braucht der Journalist, bis er versteht, dass er seine Haltung und seine Fragestellungen ändern muss, wenn er noch was rauskriegen will von Jerry Lewis? Was für ein miserabler Journalist ist er, dass er nicht einmal einen Millimeter von seinem Scheißkonzept abrückt?
Euke Frank sieht das ganz anders: Sie meint, Jerry Lewis hätte auf die Fragen des witzigen und „gut vorbereiteten“ Journalisten kooperativ antworten müssen.
Eines war dieser Journalist mit Sicherheit nicht: Gut vorbereitet. Wie kann Euke Frank das behaupten? Welche Frage hat darauf schliessen lassen, dass der Journalist gut vorbereitet war? Weil er wusste, dass Jerry Lewis schon mal in Las Vegas aufgetreten ist? Weil er Dean Martin kannte? Weil er den Namen des letzten Films kannte, in dem Jerry Lewis mitgespielt hat?
Wenn man Jerry Lewis interviewt, dann kennt man zig Geschichten aus dessen Leben und überlegt, was diese Geschichten über seinen Charakter erzählen? Man überlegt, welchen Winkel man daraus erschliessen kann, der noch nicht breitgetreten wurde? Man überlegt, wie man dann seine Fragen so zurechtzimmern kann, dass sie in diese Thesen über seinen Charakter münden und ihn selbst zum Nachdenken bringen? Man überlegt: Wie kann ich sein Interesse an meinen Fragestellungen wecken? Wie können wir gemeinsam ein Gespräch entwickeln, dass so noch nie geführt wurde? Wie fange ich am Anfang des Interviews seine Chemie ein und schaffe es eine vertraute Stimmung aufzubauen? Wie kann ich ihn spüren lassen, dass ich wirklich interessiert bin und etwas über ihn lernen will?
Dieser Journalist agiert, als sei Jerry Lewis kein Mensch, sondern nur ein Objekt, der seinen Film zum Glänzen zu bringen hat. Dabei verkennt er, dass Jerry Lewis eine enorme Marke ist, die den Journalisten und seinen Film nicht braucht. Wenn er mitmacht, dann nur aus Grosszügigkeit. Dann schenkt er dem Journalisten seinen Riesennamen, damit dieser ein wenig mitleuchten darf. Jerry Lewis könnte am Tag 1000 Interviews machen. Die Nachfrage ist enorm. Als Journalist, der Jerry Lewis interviewen darf, ergreift man daher seine Chance und dankt für die Gnade. Ich meine jetzt nicht einmal menschlich. Allein wirtschaftlich. Jerry Lewis hat einen viel höheren Marktwert für einen Journalisten, als dessen Medium für Jerry Lewis haben kann. Man kann nicht einfach hingehen und sich denken: „Den zocke ich jetzt für mich ab.“ Und das bedeutet überhaupt nicht, dass man Jerry Lewis keine haglichen Fragen stellen darf. Aber wenn man nicht will, dass Jerry Lewis die Ökonomie seiner Aufmerksamkeit von dir als Journalist abzieht, darfst du nicht eine platte, dumme, beleidigende Abzocke mit ihm betreiben.
Jerry Lewis, dement?
Auf Euke Franks Tweet kommen dann einige Posts mit dem Verdacht, dass Jerry Lewis vielleicht dement sei. Seine Antworten trügen deutliche Hinweise darauf. Ich kann nur mit vollkommener Verdutztheit reagieren! Ich habe selber Grosseltern gehabt, die an Alzheimer erkrankt sind. Ich kann natürlich nicht ausschliessen, dass Jerry Lewis dement ist, aber es gibt NICHTS an diesem Interview, das auf Demenz schliessen lassen könnte. Er hört, versteht alles. Er antwortet logisch und checkt bei jeder Frage, wo der Interviewer hinwill. Er ist in seiner Kritik nicht 100% transparent sondern erst durch die Wiederholung seiner Blockade versteht man, dass er blockiert. Er führt den Journalisten vor.
Ich frage mich, ob es wirklich so schwierig ist, psychologische zwischenmenschliche Vorgänge zu verstehen? Ob es sein kann, dass manche Menschen gar nichts mitkriegen? Euke Frank meint, sie „sei noch alte Schule“. Ich weiß nicht genau, was sie damit meint. Meint sie, die Lipizzaner Reitschule, wo man in Reih und Glied dressiert liefert, was das Publikum wünscht? Versteht sie nicht, dass die amerikanische Popkultur deswegen zur Leitkultur wurde, weil sie schärfer, emotionaler, pointierter und psychologischer arbeitet als die österreichische Opernballgesellschaft?
Mediaagenturen machen Medien kaputt
Und dann fällt mir wieder ein Interview im Horizont oder so einem internen Mediablatt ein, wo einer der Chefs von der Mediaagentur Mediacom frisch und munter behauptet, dass das neue News leider inseratemässig nicht zu verkaufen sei (Mediaagenturen verwalten das Werbeetat grosser Firmen) weil es halt nicht so richtig gut sei und blablabla und die einzige wirklich gute Inserateumgebung würde das Women liefern. Dort könne er alle Kunden quasi unterbringen.
Als ich das damals gelesen habe, war ich genauso verdutzt, wie als ich das Interview mit Jerry Lewis sah. Das Woman ist meiner Meinung nach eines der schlechtesten Magazine Österreichs. Nicht nur weil mir die Texte nicht gefallen, und weil ich finde, dass die Sprache und die Fragestellungen stereotyp und lau sind, sondern auch weil das Women wenig journalistisches Material beinhaltet und sehr sehr viel Werbung (was sich dann wieder mit der Aussage des Mediacom-Typen deckt). Und ich bin mir sicher, dass die nicht die einzige bin, die Woman schlecht findet. Es geht mir nicht darum, ob sie eine „richtige“ Meinung vertreten. Die Haltung der Woman kann ich in den Grundzügen unterschreiben. Ich finde einfach die Aufmachung und den Schreibstil langweilig und unpointiert. Und ich frage mich, woran misst die Mediacom die „Inseratwürdigkeit“ des News und wie vergleicht er diese mit jener von Woman? Also konkret jetzt? Und wie mächtig sind die Mediaagenturen eigentlich? Kann er ein Magazin zum Beispiel finanziell abtöten, indem er seinen Kunden abrät dort zu inserieren? Einfach weil, er die zum Beispiel die Chefredaktion nicht mag? Kann er eine Frau wie Euke Frank reich machen, wenn er Women über die Massen als Inseratenumgebung lobt? Wie steuern die Mediaagenturen unsere Medienlandschaft?
Und bitte: Ich will nicht behaupten, dass viele der anderen österreichischen ChefredakteurInnen so viel mehr vom von den Menschen verstehen als Euke Frank. Und das ist wirklich ein Problem für dieses Land. Medien müssen Menschen verstehen um gute Inhalte zu produzieren. Wenn man mit einer Zeitung wie Woman von den Mediaagenturen abgefeiert wird, dann muss man seine journalistische Arbeit wahrscheinlich nicht weiter hinterfragen.
Jerry Lewis kann sich nur wünschen, dass er dement wäre, bei solchen JournalistInnen.