Wann i red, håst du Pause!
Cholerische Väter haben in Wien Tradition. Mundl Sackbauer ist eine Wiener Kultfigur. Verheiratet mit der geduldigen Antonia und Papa zweier Kinder, kämpft er sich als kleiner Mann durch ein Leben, das ihm nicht viele Chancen bietet. Seine väterlichen Gefühle offenbart er oft lautstark und wenig liebevoll. Umarmungen setzt es kaum im Hause Sackbauer, dafür um so öfter eine Watschen. Der Mundl schimpft seinen Sohn Karli in einer Regelmäßigkeit Trottel, dass man meinen könnte, Trottel sei des Kindes zweiter Vorname.
Und wie reagieren wir? Haben wir etwa Mitleid mit dem Karli? Nein, wir sind amüsiert. Sein Sohn ist ja wirklich keine Leuchte und Mundl kann ganz schön geistreich sein, wenn es darum geht, sich beleidigende Attribute (Bettbrunzer, Pippn, Schwammerlbrocker) für seinen bleden Buam auszudenken. Zu allererst sympatisieren wir mit Papa Sackbauer, weil er seinen Gefühlen freien Lauf lässt. Das täten wir auch gerne öfter: Einfach mal alle niederbrüllen und uns durchsetzen, egal ob wir recht haben oder nicht.
Gleichzeitig ist er ein armer Hund, ein Underdog der Gesellschaft, und verdient deswegen unsere Solidarität. Aber vor allem mögen wir ihn, weil uns sein Verhalten nicht fremd ist. Denn Mundl ist kein untypischer Wiener Vater. Wir sind mit cholerischen Männern aufgewachsen. Ob es der Hausmeister war, der uns aus dem Hof weggestampert hat, ungute Nachbarn, Beamte, Lehrer, der Fußballtrainer oder eben der eigene Vater.
„Bist du so deppert oder stöllst di nur so? Na, na der is scho so deppert!“
Aus der Sicht des Kindes ist es weniger witzig, regelmässig irrationale und meist auch unvorhersehbare Auszucker über sich ergehen lassen zu müssen. Wer einen Choleriker als Papa hat, kann seine Meinung nicht offen sagen, ohne Gefahr zu laufen, verbal niedergemacht zu werden und/oder eine Watschen einzufangen. Der Choleriker macht alle anderen Familienmitgleider mundtot, ängstigt sie und hat das letzte Wort: Er ist der Diktator in seinen vier Wänden.
So schnell der cholerische Anfall aufkommt, so rasch kann er aber auch wieder abklingen. Kinder, die einen cholerischen Vater haben, sind oft gut geschult darin, einzuschätzen, wie ernst die Lage ist und wissen genau, wann der Anfall wieder vorbei sein wird. Manchen ist es sogar möglich, den Papa dazu zu bringen, seine festgefahrene Meinung – wenn er sich wieder beruhigt hat – zu ändern; andere Kinder kommen ihr Leben lang nicht mit dem Temperament ihres Erzeugers klar. So schildert die Tochter eines Cholerikers in einem Internetforum: „Mein Vater rastet bei der kleinsten Kleinigkeit im übertriebenen Maße aus. Er brüllt jeden nieder, der seiner Meinung im Weg steht. Seit 16 Jahren lebe ich in diesem Irrenhaus. Vor allem wenn er schlechte Laune hat, ist er wie eine tickende Zeitbombe – er findet garantiert etwas, über das er sich aufregen kann. Er wird sich nie ändern, oder?“
„Glaubst du, i bin auf die Welt kumma, damit sich andere an mir die Schuach obputzen?!“
Der Vorstand der Wiener Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Professor Max Friedrich, erzählt, dass hinter einem solchen Verhalten „ein selbstunsicherer Mensch“ steckt, „der sich mittels einer Gewaltausübung und einer Wutexplosion vermeintlich auf eine höhere Stufe stellt. In Wirklichkeit versucht er dadurch, ein Minderwertigkeitsgefühl zu überwinden.“
Choleriker sind oft typische Patriarchen. Sie sind schnell gekränkt und reagieren mit Wut. Denn sie empfinden sich in der Familien-Hierarchie als über den anderen stehend. Ihre Meinung und ihre Bedürfnisse müssen von allen mitgedacht werden. Werden sie jedoch wie alle anderen behandelt, setzt die Kränkung bereits ein.
Viele Choleriker sind aber keine klassischen Patriarchen sondern haben ihr aufbrausendes Temperament in den Genen. Sie können ihre durchbrechenden Gefühle auch bei besten Willen nicht zurückhalten. Sie sind schnell reizüberflutet und erleben negative Gefühle besonders stark. Sie schimpfen mit ihren Kindern, wenn sie laut sind, und genauso mit der Wand, wenn sie es nicht schaffen einen Nagel einzuschlagen.
„Es gibt natürlich auch eine Wechselwirkung zwischen Temperament und Erlerntem“, so Hubert Steger, Psychologe bei der Informationsstelle für Männer. Steger hat dort sowohl mit Männern zu tun, die grundsätzlich ein Problem mit ihrem aufbrausenden Wesen haben, als auch mit solchen, die in bestimmten – meist von Überforderung oder Enttäuschung gekennzeichneten – Situationen ausrasten. „Es gibt Phasen im Leben, in denen die Anforderungen von Außen zu groß werden. Dann kann es passieren, dass die Überforderung ausagiert wird“, sagt Steger. Was dann passiert, reicht von verbaler Gewalt über Vandalismus und Autoaggression bis hin zu schweren körperlichen Misshandlungen. Friedrich begegnete in seiner 44-jährigen psychiatrischen Berufserfahrung schon einigen Leidensgeschichten: Kleinkindern, die gegen die Wand geschmissen oder Teenagern, die mit Eisenstangen geschlagen wurden.
Statistiken, welche Art der Gewalt bei cholerischen Vätern am häufigsten vorkommt, gibt es keine. Alter, Bildungsstand und soziale Schicht sind kaum eingrenzbar. Persönlichkeitsimmanent ist cholerisches Verhalten jedenfalls dann, „wenn man über längere Zeit hinweg, beginnend in der Jugend und auch im Erwachsenenalter, diese Eigenschaft festmachen kann und es kaum Änderungen gibt“, schildert Steger. Das Geschlecht sei dafür nicht der alles erklärende Faktor. Die soziale Herkunft ebenso wenig, denn „es geht quer durch alle Schichten“, so Friedrich. Betroffene hätten schlichtweg keine Hemm-, Brems- oder Steuermechanismen entwickelt, die ihren heiß laufenden Reaktor kühlen könnten – die Frustrationstoleranz ist gering.
„Denen muss man mit dem Arsch ins G’sicht fahren.“
In Sachen Konfliktkultur spielt es eine Rolle, „ob Gewalt während der männlichen Sozialisation ein toleriertes Mittel war“, so Steger. Im Vorteil sind rhetorisch versierte Menschen, die ihre Probleme artikulieren können, anstatt dem Gegenüber mit dem Allerwertesten ins Gesicht zu fahren: „Die Kommunikationsstruktur entscheidet, ob jemand in Ruhe diskutieren kann oder ob er schon explodiert, kaum dass etwas nur angesprochen wird“, so Friedrich.
Kommen Söhne in die Pubertät, verlieren Väter häufig die Contenance, „weil sie an die eigene Adoleszenz erinnert werden“, erklärt Friedrich. „Die Söhne spiegeln das Verhalten ihrer Väter und bringen sie damit in Rage: ein Wechselspiel.“
Als Babys sind Kinder, unabhängig von ihrem Geschlecht, von Gewaltausbrüchen betroffen und sie prägen ihren Charakter: Vor allem „etwa um das zweite Lebensjahr herum“, erzählt Friedrich, „dann beginnt jene Phase, in der Denken und Sprechen bereits sehr gut ausgeprägt sind. Ab dann werden Furchen gezogen, das kindliche Imitationslernen beginnt.“
Und nicht nur die Ausbrüche des Vaters können imitiert werden. Auch das Verhalten der Mutter. Viele Mütter versuchen beruhigend und idealisierend mit der Situation umzugehen. Sie machen es dem Vater recht, dämpfen jeden Widerspruch, rechtfertigen und relativieren seine Ausbrüche. Statt den Vater zu kritisieren und für die Kinder und sich einzustehen, gibt sie den Kindern als Wiedergutmachung kleine Geschenke oder mütterliche Dienstleistungen.
Was macht es mit den Kindern
Je nach Temperament pflücken die Kinder aus den Verhaltensmustern ihrer Eltern ihr eigenes Verhalten zusammen. Mit der Zeit legen sie auch imitiertes Verhalten ab. Vor allem durch Erfahrungen im Kindergarten und in der Schule. Sie entwickeln sie ihren eigenen Standpunkt.
Die idealisierende Mutter kann bei manchen Kindern Aggressionen auslösen, weil sie keine Gerechtigkeit schafft sondern alle Familienmitglieder zwingt die Machtverhältnisse rund um den Vater zu stützen. Andere idealisieren die Mutter, als liebevolle schützender Hafen gegen den furchterregenden Vater. Wieder andere Kinder testen schon als Kleinkind selber mit Aggression die übrigen Familienmitglieder zu lenken und setzen damit fort, wenn sie damit erfolgreich sind und sich mächtig fühlen können. Wieder andere Kinder finden den Vater unmöglich und die Mutter zu schwach und fangen früh an, dem Vater Widerstand zu leisten und die Mutter aufzufordern sich nicht alles gefallen zu lassen.
Ein cholerischer Vater macht vor allem eines schwierig: Die Familie als kleine kooperative Einheit zu stärken. Statt dessen wird das Familienleben vor allem ein Ort des Machtkampfs.
Familie Rockt ist ein Elternmagazin und Elternblog – Portal. Das Magazin erscheint alle zwei Monate und bietet nette Artikel für Mütter und Väter und solche die es werden wollen. Auf www.familierockt.com können Eltern über ihr Leben mit Kindern bloggen.
2 Kommentare
Mädchen haben in der Pupertät und Adoleszenz so gut wie keine Probleme mit ihrem Vater?
Nach fast 22 Jahren darf ich mir bei ziemlich jeder Begegnung Gebrüll und diverse Beleidigungen anhören. Mittlerweile prallt es aber nur noch ab. In meiner Jugendzeit war ich aber ziemlich verletzt, wurde wütend und traurig.
@Liedchen Maier, stimme dir voll und ganz zu